„Das ist eine typische Karte von einem Designer“, musste der
Geograph in mir sagen.
„Sieht schön aus, ist aber kaum zu lesen.
Woher kommen wir? Wohin sollen wir?“
Die Frau war am Steuer und neben dran ein Ungeheuer. Ich war
gerade dabei, die gute Laune zu verbrennen, als ich
mich erinnerte, heute schon schlau gehandelt zu haben.
„Ich habe
eine echte Karte mit der Wegbeschreibung ausgedruckt im Sack. Soll
ich sie rausholen?“
„Nein, gib einfach den Straßennamen in das Navi ein.“
„Der liegt schwarz auf weiß zwischen meinen Beinen“, sagte
ich und warf meinen Kopf gegen die Stütze.
„Kritisiert du etwa meine Fahrweise?“ schallte es von links.
„Nein, Herrgott, ich habe Hunger und mir ist heiß. Die 35 Grad
da draußen, machen mich fertig. Also bring uns einfach ans Ziel.“
„Ist ja gut. Hast du die Karte?“
Ich holte sie aus der Tasche, gab die Straße ins Navi ein und wir
hörten:
„Für ihre Route wird gebetet.“
„Danke“, schnauzte ich zurück. „Auch das noch.“ Ich dreht
mir eine Zigarette, rauchte und ignorierte die Zeit.
Die weitere Fahrt verlief weiter, ohne zu verlaufen. Das Ziel,
Flo's Geburtstagsparty, war außerhalb aller Örtlichkeit, am Rande
Deutschlands, ja, um Himmelswillen, beinahe in Frankreich.
„Sind wir bald da? Ich dachte, du weißt, wo das ist?“ sprach
die Fahrerin mit dem Ungeheuer, dem langsam der Saft ausging.
„Ich weiß ungefähr, wo es ist. Aber weiter als bis hier, war
ich auf diesem Feldweg noch nie. Wir werden es schon finden.“
Der schwarze Wagen brachte uns mit klingendem Popschrott und
verklimatisiertem Fußraum an Schreberlichtungen vorbei langsam
Richtung Ausland. In Frankreich reichte es uns.
„Hier ist es bestimmt nicht. Der feiert doch nicht im Ausland.
Komm wir drehen um. Nein, halt. Erst steigen wir aus und atmen
Auslandsluft.“
„Gute Idee“, sprach die Frau, stieg aus, hob den Rock und
pinkelte neben das rechte Hinterrad des Wagens. Sofort verwandelte
sich der wüste Parkplatz in eine Oase. Ich musste wieder rauchen und
wünschte mir Sandalen.
„Meinst du, wir finden deine tollen Freunde? Oder sind die noch
gar nicht hier?“ fragt die Frau mich vor mir hockend.
„Was soll ich denn darauf antworten? Soll ich dir Hoffnung
machen? Soll ich ehrlich sein? Soll ich den Moment authentisch
verbalisieren? Ruf doch mal an.“
„Ich habe kein Netz.“
„Na toll. Einen 600 Euro Apparat am Arsch der Welt in der
Tasche. Wertlos. Freunde, die man nicht findet. Wertlos. Rohes Feisch
das in Plastikfolie schwitz. Wertlos. Wenigstens sind wir nicht
allein, sondern haben uns.“
Wir umarmten uns, und küssten uns so, wie Elefanten in der Wüste
aus einem Wasserloch trinken. Hungrig setzten wir uns auf die
trockene Wiese, Eingebung erwartend, Kühlung erhoffend.
„Was machen wir denn jetzt?“
Ich hatte große Lust, nichts zu machen. Aber da war nichts zu
machen. Es musste etwas getan werden.
„Komm wir fahren wieder zurück. Irgendwo an diesem Weg müssen
sie sein. Wahrscheinlich baden sie gerade.“
Das Tal war übersichtlich klein und flach. Von einer Seite zu
anderen war es zwei Steinwürfe breit. Ganz sicher. Denn am rechten Rand, Flussabwärts
blickend, floss der Fluss, die Nied, das Naherholungsflüsslein der
Region Saarlouis im Saarland an der Saar. Am Flussufer standen große
Flussbäume. Zwischen uns und dem Fluss lagen Wiesen, aufgeteilt in
Eigentumsareale und Besitzbereiche. Hecken und Baumreihen zogen
Grenzen. Auf der anderen Seite der Wiesen, gegenüber des Flusses,
war die Straße. Auf der fuhren wir. Raus aus Frankreich, eigentlich
schon auf dem Weg raus aus dem Tal, Richtung Sibirien. Links von uns
zog sich ein Streifen mit Schrebergärten am Hang entlang. Mit
Parzellen mit Wohnwägen, Hütten und Feuerstellen. Ich träumte von
Gletscherwasser. Endlich, nach einigen Metern in der Sommerhitze
hörten wir aus einer der Lichtungen das Glühen einer Zigarette und
Gelächter.
„Hier muss es sein. Lass parken und baden gehen. Ich muss eine
Schildkröte fangen.“
Die Frau stellte das Fahrzeug an den Waldrand und schwebte aus der
Tür. Im Nu hatten wir, na? Klar. Wir hatten die Badehose an, rannten
über die Wiese, zertraten Grashalme, sprangen ins Nass wie Sprungfrösche, schwammen im
Wasser wie Schwimmfische, hüpften nach draußen wie Hüpfspringer, hampelten zurück über die Wiese wie Hampelinge und
fanden uns wieder, Hand in Hand am Tisch sitzend, uns unter dem Tisch küssend, während Flo eine
Gruppe Gäste versammelte, Gänse herumflogen, Bier herumlag,
Rauch vorbeihuschte und Musik verschwamm. Das war, was ich brauchte.
Der Wahnsinn tat gut. Ein freies Wochenende mit Leuten, die Frisbee
spielten, Schwenker schwenkten und so viel Quatsch redeten, dass mir
der Kopf quoll. Das machte mich glücklich. Irgendwer wollte ein Foto
machen. Eine Gästin meinte:
„Wir setzen uns alle in das Zeltdings da, oder was das ist.“
Alle anderen fünf waren begeistert, jubelten, kreischten. Jens
holte Anlauf, sprang und wurde auf Freude und den Händen der Menge
getragen.
Sechs Leute krochen in das kleine Anti-Moskitozelt. Jens, oder wie
er hieß, ging hinter Martina, oder wie sie hieß, in die Hocke.
„Hey, wie heißt du noch gleich?“
„Wer bist du denn überhaupt?“
Diesem Witz fiel der Humor zum Opfer. Lachen erscholl. Die
fröhliche Gruppe war bereit.
Florian Luxenburger kniete, guckte und klickte.