Anarchie und die Individualität des Menschen

"Es geht um die Individualität des Menschen. Jedes einzelnen. Darum kann es von Seiten der Weltverbesserer auch keine einzig richtige Handlungsempfehlung geben, die allgemein auf unsere Zeit des Spätkapitalismus abzielt. Ein Mensch, in dessen Dorf eine Anlage für Massentierhaltung gebaut wird, hat ein anderes Verhältnis zu Massentierhaltung, wie ein Großstädter im Zentrum Kölns. Von daher müssen die Menschen immer ihre eigen Themen finden.  Bildquelle

Zurzeit, wiedereinmal, gibt es viele populistische Bewegungen, die mit platten Parolen Bauernfängerei betreiben, um daraus zum Beispiel eine Bürgerbewegung zu machen. Sie suchen nach Schafen für Ihre eigene Sache. Und das wird alles ganz platt gemacht. Dummerweise zieht das Platte. Ein differenziertes Buch hat auf dem Büchermarkt kaum eine Chance. Wenn ich beispielsweise eine Impfkritik mache, muss sie immer gleich Volle Kanne kommen: Alles nur Verbrecher! Das verkauft sich am besten. Ein blöder Nebeneffekt ist: Das macht die differenzierte Gesprächskultur zunichte.

Mir wäre es wichtig, wenn die Leute sehr genau darüber nachdenken, was ihre wichtigsten Themen sind, sich dabei an ihren lokalen Fragestellungen orientieren.

Doch neben den Inhalten der Themen geht es mir auch um die Art, wie sich damit auseinander gesetzt wird. Zwei Aspekte sind mir dabei besonders wichtig.

Was den politischen Widerstand angeht, sind wir methodisch in der ersten Klasse. Seit den 68ern, die die erste größere politische Widerstandsbewegung im letzten Jahrhundert war, sagt sich die Widerstands-Bewegung am Ende jeden Jahres: 'Ach, das war gut. Das habe ich hinbekommen. Das mach ich nochmal.' Leider geschieht das seither in Endlosschleife. Das muss sich ändern.

Dazu gehört zum Beispiel das Thema Recherche. Kaum jemand weiß vom Recht auf Akteneinsicht. Oder wie man seine Patientenakte bekommt. Mir geht es bei dieser Sache nicht um Institutionen, sondern um jeden einzelnen Menschen. Darum mache ich meine Trainings vor Bauern, vor Ort, im Dorf, auf dem Land. Mir geht es um echte Selbstermächtigung.

Weitere Handlungsmöglichkeiten aus der Selbstermächtigung heraus wären Straßenaktionen, intelligente Sabotage, sich selbst vor Gericht zu verteidigen, und solche Verfahren auch gewinnen. Das sind für mich Methoden, die sich die Menschen aneignen müssten, um Handlungsfähiger zu werden.

Interessanterweise gibt es in der sogenannten Linken Bewegung viele Organisationen, die gegen die Idee der Selbstermächtigung kämpfen. Sie sind gegen die Idee, sich selbst vor Gericht zu verteidigen. Sie nutzen harte Mittel gegen mich und geben mir Hausverbote. Mir scheint, die Apparate wollen immer nur Schafherden formen.

Das zweite Gebiet ist: Es gibt nicht DAS wichtige Thema. Es ist vielmehr so, dass jedes Thema unter den gleichen Zwängen leidet. Sei es Massentierhaltung, das Durchsetzen von Gentechnik oder das Rollenlassen von Panzern oder der Medikamentenverkauf.

Diesbezüglich würde ich mich freuen, wenn die Leute mehr Mut hätten, den utopischen Hintergrund zu benennen. Sie sollten aufhören, Angst zu haben, aufhören Angst davor zu haben, nicht mehr Ernst genommen zu werden. Sie sollten den Mut haben, von manchen Leuten auch wieder als Spinner angesehen zu werden, weil wir nicht nur sagen, wir sind gegen Massentierhaltung und freuen uns, wenn irgendwer diese Einrichtungen bei der passenden Gelegenheit abfackelt, sondern, ganz ehrlich, wenn es nach mir ginge, gehörten die Energienetze, die landwirtschaftlichen Flächen irgendwann wieder den Menschen, und am besten so, dass wir Konzerne und Regierungen gar nicht mehr brauchen. Alle Teil-Aspekte für mich nur ein Teil-Ausdruck der gesamten Scheiße. Diese gilt es loszuwerden.

Struktur und Herrschaftskritik muss formuliert werden.  Der praktische Kampf gegen den Kapitalismus findet nicht mit Rotwein in der Hand in intelligenten Gesprächskreisen statt, sondern auf der Straße, an den konkreten Erscheinungsformen. Ich sage gerne: Sucht die Konfliktpunkte - und benennt laut, dass es sich hier nicht um einen Einzelfall handelt, sondern das ganze System so, wie es ist, weg kann.

Nicht dass jemand auf die Idee kommt: Ich bin gegen Castor-Transporte und AKWs, aber der Rest kann bleiben. Nein, ich bin total dagegen. Auch gegen Staaten. Die können alle weg. Nationalstaaten haben in der Geschichte immer nur unterdrückt. Ich will, dass hier nichts bleibt, wie es ist. Alles soll zurück in die Hände der Menschen. Erst dann haben wir Ruhe." Jörg Bergstedt

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