Die Missstände des Bloggens als eine Chance für den Journalismus

Es gestehen immer mehr Journalisten, dass in den durch Steuern finanzierten, öffentlichen Medienformaten zunehmend mehr Werbekunden und andere Interessenverbände den Ton beeinflussen, zumindest an Schlüsselstellen wie der Titelseite. Öffentliche Medienhäuser würden mehr und mehr den privaten, auf Gewinn ausgerichteten ähneln, lautet ein Vorwurf.

Zuschauer und Leser kündigen diesem abhängigen Journalismus die Treue, wechseln zu Blogs und neuen, sogenannten alternativen Medien. Sie heißen alternativ, weil sich die Mainstreammedien so wenig unterscheiden wie die Politik von CDU und SPD, also eine echte Alternative zur Pseudo-Vielfalt der Mainstream-Medien sind.

Es veröffentlichen immer mehr Menschen selbst Meinungen und Rechercheergebnisse. Damit reihen sie sich in das (un)überschaubar „alternative Medienagebot“ ein. Ich bewerte das positiv, zeugt es doch von Verantwortung im Sinne von: Wenn die es nicht machen, muss ich es selbst tun. Gleichzeitig entsteht ein riesiges Durcheinander und große Verunsicherung.

Die Frage, wer glaubwürdiger ist, ein professioneller Journalist in einem nicht unabhängigen Haus oder ein Blogger, über den man nichts weiß, ist müßig. Ich stelle eine andere Frage: Wie können die Akteure des gewissenhaften Journalismus damit umgehen, dass ein Großteil der Bevölkerung sich zweifelhaften Privatbloggern zuwendet, bei denen es weder kontrollierende Teamarbeit gibt, noch organisierte Transparenz?

Verantwortung demonstrieren


Ich sehe einen ersten Schritt in der Kommunikation der Errungenschaften des professionellen Journalismus. Die meisten Journalisten hatten in ihrer Ausbildung Diskussionen über Werte, über Ethik und Verantwortung des Journalismus. Diese Werte sollten auf Webseiten prominent platziert werden. So könnten sich Journalisten diese mit wenig Aufwand wieder ins Bewusstsein bringen. Ebenso hätten Leser einen konkreten Anhaltspunkt, wo sie nachlesen könnten, welchen ethischen, verantwortlichen Überzeugungen ein Blatt oder ein Magazin folgt.

Die Gefahr, dass diese Inhalte zur Image-PR-Farce verkommen, besteht. Sie sind jedoch ein wichtiger Anhaltspunkt, auch bei Diskussionen oder Rechtsprechungen. Eine offene und ehrliche Diskussion über Werte und Gewissen, seitens der Journalisten, kann aufgebrachten Lesergemütern zeigen, dass nicht alle Journalisten nur auf ihren eigenen Vorteil fokussieren. Auch kann ein persönliches, öffentliches Bekenntnis eines Journalisten zu seinen wahren Überzeugungen und Interessen dessen eigene, gewissensbasierte Verantwortung festigen.

Errungenschaften hochhalten


Der professionelle Journalismus ist bemüht, sachlich zu informieren. Dabei versucht er auch, die Spannung zwischen Meinung und objektiven Fakten besten Gewissens so weit wie möglich zu lösen. Im klassischen Journalismus gibt es dafür eindeutige Formatgattungen. Sie unterscheiden zwischen kommentierender Meinung und objektiver Berichterstattung. Es ist also möglich, beides weitgehend zu trennen, wenn man möchte - und es gelernt hat. Redaktionen und Teams, meinte man bisher, arbeiten diesbezüglich ohne wirtschaftlichen Druck gewissenhaft an höchster Qualität.

Beim Bloggen ist es anders. Dort gelten weder breit diskutierte Regeln noch klassische Formatgattungen. Bericht und Kommentar verschmelzen zu einem leicht verdaulichen Brei, der nicht selten jegliche "Qualität" vermissen lässt. Die Freiheit, dies tun zu dürfen, hat klare Vorteile für Blogger, birgt aber große Gefahren für naive Leser. Ihnen wird mit unter nicht deutlich, was Meinung und was objektive Informationen sind. Dass derartige Arbeiten auch als „Journalismus" in die Welt gebracht werden, weil es dem Zeitgeist entspricht, ist bestimmt ein weiterer Grund für das Abwandern der Leser von etalblierten Medien. Es könnte sich also lohnen, dem vermeintlichen Zeitgeist nicht blind nachzueifern, sondern ihm einen eigenen Zeitgeist der Werte und Qualität entgegenzuhalten - so man sich den noch leisten kann.

Das Ende der Objektivität


Meiner Wahrnehmung nach scheinen nur wenig Blogger bemüht, ihre Meinung von den objektiven Fakten zu trennen - worin ich auch einen Vorteil erkenne. Denn oft ist es für Leser "schlechter Blogartikel" sehr offensichtlich, welche Meinung der Blogger hat, auf deren Grundlage er Fakten zusammenträgt und Schlussfolgerungen zieht. Dieser Mangel an Diferenziertheit ist aber oft so offensichtlich, dass er eine direkte Einordnung zulässt - was wiederum im professionellen Journalismus nicht immer möglich ist. Und genau darin wittere ich eine Chance für neues Vertrauen in den Journalismus.

Der Bloggers ist meist unzertrennlich und offensichtlich mit seiner Arbeit, dem Bloggen, verbunden. Nur in wenigen Ausnahmen werden Blogartikel im Rahmen von Unternehmen als scheinbar neutrale Informationsartikel getarnt. Ansonsten erscheinen sie meist ungeschminkt als das Werk der Personen, die sie verfasst haben. Bei journalistischen Arbeiten stehen Namen nur in wenigen Fällen im Mittelpunkt. Das ist vor allem dort der Fall, wo sich ein Journalist einen Namen gemacht hat, der bei den Lesern bekannt ist. Dessen Werke werden auffällig mit Namen gekennzeichnet, um Qualität zu suggerieren. Qualität in was?

Die meisten anderen journalistischen Arbeiten nennen zwar Urheber, Autor oder Reporter beim Namen, rücken diese aber für Leser und Zuschauer kaum wahrnehmbar an den Rand. Klar, es steht ja der Tradition nach im Journalismus nicht der Vermittler im Mittelpunkt, sondern der Inhalt - möglichst ohne persönliche Färbung durch den Journalisten, selbst bei „professionellen Kommentaren echter Experten“ und sogenannten "urteilssicheren" Alphajournalisten - was einer Farce gleicht.

Insbesondere bei Kommentaren schwingt nicht selten eine Arroganz mit, die nur bei einigen „Göttern in weiß“ ebenso stark ausgeprägt ist. Aber an der Glaubwürdigkeit der Ärzte hat der Kapitalismus mit seinen Industrielobbyisten und der Gewinnmaximierung bekanntlich gesägt. Wie können also Journalisten wieder glaubwürdig werden?

Es könnte gehen, in dem es für Leser leichter wird, die Meinung, das Weltbild, die Urteile des Journalisten gesammelt und gebündelt zu finden, seine Ausbildung, seine Fortbildung und seine Netzwerke öffentlich lesen zu können, transparent auf seiner Webseite, oder auf der des Medienhauses. Dann wäre die menschliche Grundlage bemühter Objektivität zu erkennen.

Journalisten sollten offen eingestehen, dass trotz institutionalisierter Bemühen, kein Beitrag von der Person zu trennen ist, die ihn erschaffen hat. Dies zu verleugnen, wirkt bei undurchsichtigen Interessensstrukturen und schrumpfendem Vertrauen seitens der Leser wie ein Brandbeschleuniger der Medienkrise.

Grenzen erkennen und wahren


Wenn sich Blogger zu Journalismus aufschwingen möchten, sollten sie Quellen-Transparenz praktizieren. Sie sollten sich auch bemühen, verschiedene Textgattungen einzuführen, um für den Leser Klarheit zu schaffen. Das beinhaltet auch das Gebot, immer auch die Gegenmeinung darzustellen. Ohne Team und Redaktion ist das schwierig. All dies können journalistische Teams bereits leisten. Sie sollten es auch konsequent tun - und demonstrieren, dass sie es tun. Warum sich also als Journalist dem Stil eines Bloggers nähern?

Doch es gibt noch etwas anderes, was man von gewissenhaften Bloggern lernen kann. Wenn dieses zitieren, verlinken sie direkt zu ihren Quellen, oder zitieren sauberer, soweit das möglich ist, und schaffen damit eine Form der Tranparenz, die selbst bei Online-Zeitungen noch nicht überall üblich ist.

Flagge zeigen


Beide Bezeichnungen, Blogger und Journalist, sind nicht geschützt, es kann sich also jeder frei bezeichnen, wie er möchte. Für Leser könnte es, wie bereits beschrieben, von Wert sein, zu wissen, was die grundlegenden Überzeugungen einer jeden, persönlichen Aktivität als Blogger oder Journalist sind. Was bedeutet es, Journalist zu sein? Was bedeutet es, Blogger zu sein? Beide Bezeichnungen transportieren einen unterschiedlichen Umgang mit Informationen und Meinungen, einen anderen Auftrag, gewollt oder ungewollt. Für was stehst du?

Der Vorschuss an Vertrauen, den Journalisten bisher hatten, ist verbraucht, weil er missbraucht wurde. Es ist an der Zeit, dass sich jeder einzelne, und jede Redaktion, das Vertrauen wieder neu verdient. Und das geht nur über individuelle und arbeitstechnische Transparenz. Meine ich.