Ein Professor wanderte weit in die Berge, um einen berühmten Zen-Mönch zu besuchen. Als der Professor ihn gefunden hatte, stellte er sich höflich vor, nannte alle seine akademischen Titel und bat um Belehrung.
„Möchten Sie Tee?“, fragte der Mönch.
„Ja, gern“, sagte der Professor.
Der alte Mönch schenkte Tee ein. Die Tasse war voll, aber der Mönch schenkte weiter ein, bis der Tee überfloss und über den Tisch auf den Boden tropfe.
„Genug!“, rief der Professor. „Sehen Sie nicht, dass die Tasse schon voll ist? Es geht nichts mehr hinein.“
Der Mönch antwortete: „Genau wie diese Tasse sind auch Sie voll von Ihrem Wissen und Ihren Vorurteilen. Um Neues zu lernen, müssen Sie erst Ihre Tasse leeren.“
Es war einmal ein König, der lebte in seinem Schloss auf einem hohen Berg, von wo aus er sein ganzes Land überblickte. Der König war sehr beliebt bei seinem Volk. Jeden Tag brachten ihm die Leute aus der Stadt schöne Geschenke, und der Geburtstag des Königs wurde im ganzen Land gefeiert. Die Leute liebten den König, denn er war weise und gerecht.
Eines Tages geschah ein Unglück. Alle Brunnen im Lande wurden vergiftet, und alle - Mann, Frau und Kind - wurden verrückt. Nur der König, der auf seinem Berg einen eigenen Brunnen besaß, blieb verschont.
Bald danach fingen die Leute im ganzen Land an zu tuscheln: „Wie seltsam ist doch unser König. Er ist überhaupt nicht mehr weise, er ist gar nicht mehr gerecht.“
Manche behaupteten sogar, der König sei verrückt geworden. Vorbei war es mit seiner Beliebtheit, und niemand brachte ihm mehr Geschenke. Natürlich feierte auch niemand mehr seinen Geburtstag.
Der einsame König, hoch droben auf seinem Berg, blieb ganz allein. Er langweilte sich, darum beschloss er eines Tages, von seinem Berg herabzusteigen und in die Stadt zu gehen. Es war furchtbar heiß an diesem Tag, darum trank der König einen tüchtigen Schluck aus dem Brunnen am Marktplatz.
An diesem Abend feierte die ganze Stadt ein großes Fest. „Unser geliebter König hat endlich seinen Verstand wiedergefunden“, jubelten die Leute.
Sam arbeitete auf einem Bau, in einer Stadt des mittleren Westens. Jeden Tag, wenn die Sirene zur Mittagspause ertönte, setzten sich die Kollegen hin und packten ihre Lunchpakete aus. Und mit schöner Regelmäßigkeit hörten sie, wie Sam sich beklagte.
„Hol mich der Teufel!, jammerte er. „Nicht schon wieder Sandwich mit Erdnussbutter und Marmelade. Ich hasse Erdnussbutter und Marmelade!“
So ging es jeden Tag, bis es den Kollegen zu viel wurde. „Hör mal“, sagte einer, „Wenn du Erdnussbutter und Marmelade nicht magst, dann sag doch mal endlich deiner Alten, sie soll dir etwas anderes mitgeben.“
„Gott bewahre“, protestierte Sam. „Ich bin nicht verheiratet. Ich mache mir meine Sandwiches selbst.“
Alexander der Große, der an der Spitze seiner Soldaten durch die Wüste marschierte, fand den Weg versperrt durch zwei dicke Seile, die zu einem großen Knoten verknüpft waren, dem Gordischen Knoten. Niemand hatte ihn je zu lösen vermocht, bis Alexander der Große vor diese Aufgabe gestellt war. Ohne zu zögern, zog er sein Schwert und hieb mit einem einzigen kraftvollen Streich den Gordischen Knoten entzwei. Er war ein Krieger!
Ein Schüler der Meditation saß in tiefem Schweigen mit einer Gruppe von Übenden zusammen. Erschreckt durch eine Vision von Blut, Tod und Dämonen, stand er auf, ging zum Lehrer und flüsterte: „Roshi, ich hatte eben eine furchtbare Vision.“
„Lass sie los“, sagte der Lehrer.
Ein paar Tage später beglückten ihn phantastische erotische Phantasien, Einsichten in den Sinn des Lebens, mit Engeln und kosmischer Pracht - die Wunder der Welt.
„Lass sie los“, sagte der Lehrer, der mit seinem Stock hinter ihn getreten war und ihm einen Schlag versetzte.
In einem Zen-Kloster saß ich Tag für Tag, mühte mich mit einem Koan, einem Rätsel, dass mir der Roshi aufgegeben hatte, um meinen Geist anzuspornen, damit er sein wahres Wesen erkenne. Ich konnte das Rätsel nicht lösen. Jedes Mal, wenn ich zum Lehrer ging, konnte ich ihm nichts sagen. Ich war ein langsamer Schüler, und ich verlor den Mut. Der Roshi riet mir, noch einen Monat länger an meinem Koan zu arbeiten. „Bis dahin“, ermunterte er mich, „wirst du die Lösung wissen.“
Ein Monat verging, und ich tat mein Bestes. Das Koan blieb ein Geheimnis.
„Arbeite noch eine Woche länger, mit Feuer im Herzen!“ empfahl der Roshi. Das Koan brannte in mir Tag und Nacht, aber ich konnte es noch immer nicht ergründen.
Mein Roshi befahl: „ Arbeite noch einen Tag länger, mit ganzer Seele!“ Der Tag verging, und ich war erschöpft. Ich sagte zu ihm: „Meister, es hat keinen Zweck. Einen Monat, eine Woche, einen Tag - ich kann das Geheimnis nicht ergründen.“
Der Meister sag mich lange an. „Meditiere noch eine Stunde länger“, sagte er. „Wenn du das Koan bis dahin nicht verstanden hast, musst du dich umbringen.“
Ein alter Mann und sein Sohn bestellten gemeinsam ihren kleinen Hof. Sie hatten nur ein Pferd, das den Pflug zog. Eines Tages lief das Pferd fort.
„Wie schrecklich“, sagten die Nachbarn, „welch Unglück.“
„Wer weiß“, erwiderte der alte Bauer, „ob Glück oder Unglück?“
Eine Woche später kehrte das Pferd aus den Bergen zurück, es brachte fünf wilde Pferde mit in den Stall.
„Wie wunderbar“, sagten die Nachbarn, „welch Glück.“
„Glück oder Unglück? Wer weiß?“, sagte der Alte.
Am nächsten Morgen wollte der Sohn eines der wilden Pferde zähmen.
Er stürzte und brach sich das Bein.
„Wie schrecklich. Welch Unglück!“
„Glück? Unglück?“
Die Soldaten kamen ins Dorf und holten alle jungen Männer in den Krieg. Den Sohn des Bauern konnten sie nicht gebrauchen, darum blieb er als einziger verschont.
„Glück? Unglück?“
In Japan, in einem Fischerdorf, lebte ein junges Mädchen. Sie war unverheiratet und bekam ein Kind. Die Eltern, empört über die Schande, wollten wissen, wer der Vater sei. Die junge Frau aber wollte ihn nicht verraten. Der Fischer, den sie liebte, hatte gesagt, er wolle ausziehen und sein Glück versuchen und wiederkommen und sie zur Frau nehmen. Die Eltern aber bedrängten sie unerbittlich. In ihrer Verzweiflung gab sie Hakuin als Vater an - einen Mönch, der in einer Hütte in den Bergen lebte.
Die entehrten Eltern trugen das Kind vor die Hütte des Einsiedlers. Sie klopften an, und als er aufmachte, legten sie ihm das Kind in den Arm: „Dies ist dein Kind“, sagten sie. „Du musst für es sorgen!“
„Ist’s wahr?“, sagte Hakuin. Er nahm das Kind zu sich und winkte den Eltern Lebewohl.
Ein Jahr verging, und der wirkliche Vater kehrte als wohlhabender Mann zurück und heiratete das Mädchen. Sogleich machten sie sich auf den Weg in die Berge, um ihr Kind von Hakuin zurückzufordern. „Wir wollen unserer Tochter haben“, sagten sie.
„Ist’s wahr?“, sagte Hakuin. Und er gab ihnen das Kind.
„Ich halte es nicht aus. Dieser Schmerz“, sagte die Frau zu ihrer Schwester.
„Schwester, hast du um deinen Sohn getrauert, bevor er geboren war?“
„Nein, natürlich nicht“, sagte die unglückliche Frau.
„Also, dann brauchst du auch jetzt nicht um ihn trauren. Er ist nur dorthin zurückgekehrt, wo sein Ursprung liegt, wo er zu Hause war, bevor er zur Welt kam.“
Zwei Mönche, der eine bejahrt, der andere noch ganz jung, wanderten im Regenwald einen schlammigen Pfad entlang. Sie waren auf dem Heimweg zu ihrem Kloster. Da begegneten sie einer schönen Frau, die hilflos am Ufer eines reißenden Flusses stand.
Der alte Mönch, der die Not der Frau erkannte, hob sie auf seine starken Arme und trug sie hinüber. Sie lächelte und schlang ihre Arme um seinen Hals, bis er sie am anderen Ufer sanft absetzte. Mit einer anmutigen Verbeugung dankte sie ihm, und die Mönche setzten schweigend ihren Weg fort.
Nicht weit von der der Klosterpforte konnte der junge Mönch nicht mehr an sich halten: „Wie konntest du nur so eine schöne Frau in die Arme nehmen? So etwas ziemt sich nicht für einen Mönch!“
Der alte Mönch sah seinen Gefährten an und sagte: „ Ich habe sie dort zurückgelassen. Trägst du sie immer noch?“
Eine Mutter brachte ihren kleinen Sohn zu Mahatma Gandhi. „Bitte Mahatma“, flehte sie. „Sage meinem Sohn, er soll aufhören, Zucker zu essen.“
Der Mahatma besann sich und sagte: „Gute Frau, komm in zwei Wochen wieder mit deinem Sohn.“
Verwirrt bedankte sich die Frau und sagte, sie würde tun, wie ihr genießen.
Nach zwei Wochen kam sie wieder mit ihrem Sohn. Gandhi schaute dem Kleinen fest in die Augen und sagte: „Hör auf, Zucker zu essen.“
Dankbar, aber ziemlich verwundert, fragte die Frau den Mahatma: „Warum sollte ich zwei Wochen warten? Damals hättest du ihm das selbe sagen können.“
„Vor zwei Wochen“, antwortete Ghandi, „habe ich selbst noch Zucker gegessen.“
Laote schlief und träumte, er sei ein Schmetterling. Beim Erwachen fragte er sich: „Bin ich ein Mensch, der geträumt hat, er sei ein Schmetterling? Oder bin ich ein schlafender Schmetterling, der träumt, er sei ein Mensch?“
Milarepa hatte überall nach Erleuchtung gesucht, aber nirgends eine Antwort gefunden, bis er eines Tages einen alten Mann langsam einen Bergpfad herabsteigen sah, der einen schweren Sack auf der Schulter trug. Milarepa wusste augenblicklich, dass dieser alte Mann das Geheimnis kannte, nachdem er so viele Jahre verzweifelt gesucht hatte.
„Alter, sage mir bitte, was du weißt. Was ist Erleuchtung?“
Der alte Mann sah ihn lächelnd an, dann ließ er seine schwere Last von der Schulter gleiten und richtete sich auf.
„Ja, ich sehe!“, rief Milaprepa. „Meinen ewigen Dank! Aber bitte erlaubte mir noch eine Frage: Was kommt nach der Erleuchtung?“
Abermals lächelte der alte Mann, bückte sich und hob seinen schweren Sack wieder auf. Er legte ihn sich auf die Schulter, rückte die Last zurecht und ging seines Weges.
Zuerst sind Berge Berge, und die Flüsse sind Flüsse. Dann sind die Berge nicht mehr Berge, und die Flüsse nicht mehr Flüsse. Zuletzt sind die Berge Berge, und die Flüsse sind Flüsse.
Eine heilige Frau wanderte am Rand einer Klippe dahin. In der Tiefe sah sie eine tote Löwin liegen, umringt von hungrig schreienden Löwenjungen. Ohne zu zögern, sprang die Frau in der Abgrund, damit die Jungen etwas zu fressen hätten.
Es war einmal ein Volk von Menschen, die verbrachten ihr ganzes Leben in einer Höhle der Illusionen. Nach vieler Generationen glaubten alle daran, dass ihre eigenen, an die Höhlenwände geworfenen Schatten das Wesen der Wirklichkeit wären. Nur die Sagen des Volkes und seine religiösen Überlieferungen berichten von einer anderen, helleren Möglichkeit. Fasziniert vom Spiel der Schatten, gewöhnten sie sich an ihre dunkle Wirklichkeit und blieben in ihr gefangen.
Und doch gab es immer wieder Menschen, glückliche Ausnahmen, die dem Schicksal dieser Gefangenen in der Höhle zu entrinnen wussten. Sie begannen zu zweifeln und wurden des Schattenspiels überdrüssig. Schatten konnten sie nicht mehr ausfüllen, ganz gleich wie hoch sie sein mochten. Diese Menschen begaben sich auf die Suche nach dem Licht. Einige Glückliche fanden Lehrer, die sie vorbereitetn und aus dem Reich der Illusionen emporführen - ans Licht der Sonne.