Um uns dieser Sichtweise zu nähern, betrachten wir kurz den Begriff Natur. Hier können wir trennen zwischen einer äußeren Natur, dem Wald, den Wiesen, der Luft, dem Regen, und der inneren Natur des Menschen, die seine Kultur erschafft, in der er handelt. Diese Trennung steckt auch im Begriff Umwelt. Wer von Umweltschutz spricht, meint meist die Umwelt um den Menschen herum. Also eine Welt, die vom inneren Menschen getrennt ist. Dieser äußeren Welt widmete sich bisher die Bildung für Nachhaltigkeit.
Wieso ist das so? Betrachten wir zuerst die Geschichte. Der erste aktive Naturschutz entstand mit der Industrialisierung, als Beispiel gelten die Naturfreundehäuser, die im Kaiserreich gegründet wurden. Damals wurden große Naturschäden für viele erkennbar: schlechte Luft, giftige Gewässer. Die Menschheit war schuld, allen voran ein Teil, nämlich die ausbeuterischen Kapitalisten, die die Arbeiter ausnutzten. Es war nicht im Interesse des Arbeiters, dass der Flusslauf seines Ortes vergiftet wurde. By the way: Hat sich das geändert? Wie dem auch sei - Naturfreundehäuser zu schaffen, war ein moderner Ansatz, ein Erfahrungsraum. Die Menschen sollten dort erfahren, wie schön eine intakte Natur ist und wie wohl sie sich darin fühlen.
Die moderne Umweltschutzbewegung startete in den 1980ern. Sie begann in städtischen Bereichen und ist auch heute noch in Städten besonders aktiv. Man war gegen Atomkraft, für Fledermäuse, und wieder und immer noch gegen Gewässerverschmutzung. Diese Bewegung wurde so stark, dass sie in die Politik fand, dort in abgeschwächter Form Erfolge feierte, aber leider bis auf ein kleines Basismaß wieder unterging, weil das Diktat der Ökonomie weiterwuchs. Dennoch: Insgesamt kann man sagen, die Umweltschutzbewegung ist eine stabile Größe im Bürgerengagement.
Der Begriff Nachhaltigkeit kam 1972 aus dem Club of Rome. Dieser erkannte, dass das menschliche Wirtschaften den Planeten ruiniert. Mit den Milleniumszielen wurde schließlich festgehalten: Wir müssen die Menschheit zur Nachhaltigkeit führen. Aber das, was bisher in diese Richtung unternommen wurde, das bisherige Lern- bzw. Lehrkonzept, scheint nicht zu greifen. Bisher ist die Bildung für Nachhaltigkeit ein normatives Konzept zur Änderung von Verhaltensweisen. Das meint: Die Veränderung zur Nachhaltigkeit schien bisher im Vermitteln von mehr Bildung im Sinne von mehr Wissen zu liegen.
Na gut, sagen manche, lehren wir ab jetzt einfach andere kognitive Muster, neue Inhalte mit anderem Fachwissen. Aber auch diese neuen Inhalte wären zusammen mit den alten wieder nur ein Konzept, das auf Lernen-durch-Einsicht basiert. Einsicht im Sinne von Zustimmung soll eine Verhaltensänderung bewirken. Bisher hat das nicht im großen Stil funktioniert.
Das kognitive, normative Lernen ist zu abstrakt, weiß die Forschung - und zeigt die Erfahrung der Realität. Bereits 1999 hatte dies die Bund Länder Kommission herausgefunden. Schon für sie war der Grund offensichtlich. Die Zusammenhänge von Mensch und Natur, die aufgezeigt werden, die in der Bildung für Nachhaltigkeit verstanden werden sollen, sind nicht anschlussfähig für den täglichen Lebensraum, passen nicht zum alltäglichen Handeln.
Aber es ist noch schlimmer: Das, was daraus folgt, ist dramatischerweise das genaue Gegenteil des Gewollten. Die Trennung von Mensch und Umwelt wird verstärkt. Die letzen 15 Jahre sind ein schreckliches Beispiel, allem voran beim Thema Ernährung. Das Wissen über gesunde Ernährung ist in der breiten Masse bekannt. Trotzdem gibt es immer mehr Krankheiten durch falsche Ernährung, dicke und adipöse Menschen.
Ein Grund dafür ist: Das, was mit dem gelehrten Wissen an Selbstwahrnehmung entsteht, ist eine „hilflose Generalisierung“. Der Mensch erscheint als statistische Größe in einem riesigen, unpersönlichen System. Unterstützt wird das von Forschung, Wissenschaft, Politik und Wirtschaft, die den Menschen auf eine statistische Größe mit messbaren Parametern reduziert. Aber sein tägliches Erleben wird nirgends behandelt. Der Mensch verliert sich selbst. Ist das Absicht - oder Unkenntnis?
Viele Pädagogen, Psychologen und Philosophen fordern daher: Der Mensch soll sich seiner eigenen Natur zuwenden, der Ökologie des Körpers, der Erlebniswelt Ich. Die entscheidende Schnittstelle, der Mensch mit seinem Selbst, muss angegangen werden, um nachhaltiges Handeln zu kultivieren. Doch wie geht das?
Die Lösung ist erfahrbar und heißt Achtsamkeit
Im Zentrum dieser Selbst-Zuwendung steht der Begriff Achtsamkeit. Viele Experimente und Studien offenbaren, die äußere, ökosoziale Kompetenz steht in direktem Verhältnis zur Intensität des inneren Erlebens. Wer sich selbst besser wahrnimmt, nimmt auch die Welt besser wahr. Wer sich selbst achtet, achtet auch andere. Wer für sich selbst sauberes Wasser als Lebensgrundlage erkennt, erkennt dies auch für andere. Wer sich selbst achtsam begegnet, entwickelt sein nachhaltiges Selbst.
Der Wandel im Außen findet nicht losgelöst vom Innen statt. Das Außen ist der Spiegel des Inneren, was alte Weisheitslehren schon seit Jahrtausenden "lehren". Die von der Bildung für eine nachhaltige Entwicklung geforderte Veränderung braucht also eine Selbstveränderung. Das erkennen nun auch Psychologen, Pädagogen und Soziologen. Die Verantwortung für eine ökologische Entwicklung entsteht nur aus dem Selbst heraus. Also bevor ich etwas da draußen verändern kann, muss ich mich selbst verändern. Anders geht es nur nach hinten los. Aber die Selbstveränderung ist gar nicht so einfach. Wohin ich mich ändern soll, erkenne ich nur, wenn ich es in der Gesellschaft erleben kann.
Die Zirkelhyphothese besagt dasselbe: Das Subjekt wird immer von der Gesellschaft beeinflusst, aber da die Gesellschaft auch nur durch das Subjekt entsteht, entsteht wahrer Fortschritt aus dem eigenen Erfahrungsraum. Und genau dieser muss aufgespannt werden. Nachhaltigkeit muss erfahrbar werden, mit Händen, Füßen, Augen und Ohren, Herz und Hirn. Wer Nachhaltigkeit für sich persönlich entdeckt, entdeckt seinen Gestaltungssinn für die Gesellschaft.
Der Bezug zur Achtsamkeit ist das wesentliche Element, um sich selber in seiner Körperlichkeit, um sich in seiner natürlichen Verfasstheit zu erfahren, und auch um sich in seinen eigenen Grenzen wahrzunehmen, beispielsweise in der Arbeitswelt. Das zeigt auch der Stressreport der BRD: Heutzutage nimmt in vielen Bereichen die Stressrate zu, die Burnout-Rate steigt, weil die Menschen immer weniger in der Lage sind, sich in ihren Arbeitsvollzügen selbst gesund zu organisieren.
Dem steuert die in vielen Seminaren gelehrte Sich-Selbst-Wahrnehmung entgegen. Mit beachtlichen Erfolgen. Die Achtsamkeit fördert die eigene Selbstwirksamkeit im Bezug auf das eigene Handeln im Job. Das liegt daran: Achtsamkeit ist kein rein kognitives Wissen, sondern ein Gefühl dafür, was für das Selbst relevant ist. Die zentralen Fragen lauten: Wer bin ich? Was brauche ich wirklich? Was tut mir selbst gut? Das sind zwar kognitive Fragen, deren wahre, individuelle Antwort kann aber nur erfahren werden. Im Menschen selbst, aus dem Menschen selbst heraus.
Diese Perspektivenerweiterung ist eine relativ neue Art zu lernen. Nicht neu im Sinne ihrer Funktion, sondern neu im Sinne: So wurde bisher nicht gelehrt. Es formulierte ein Psychologe: "Das Wissen über sich selbst ist nicht kognitiver Natur, sondern findet seine Begründung in der Erfahrung des eignen Selbst."
Eine intensive Selbst-Erfahrung steht der Selbst-Entfremdung entgegen, von der Jean Ziegler so deutlich spricht. Wer sich selbst erfährt, sich selbst erkennt, mit seinen Wünschen, Bedürfnissen, Grenzen und Nöten, erkennt auch seine Umwelt, die ihn umgebende Welt, mit neuen Augen. Ein achtsamer Mensch entwickelt eine nachhaltige, liebevolle Lebensweise.
Was dafür nötig ist, davon spricht Prof. Dr. Gerald Hüther - nämlich ein Erfahrungsraum, in dem sich der Mensch selbst kennenlernt, in dem er sich entfalten kann, in dem er Verbundenheit mit anderen Menschen spürt und gleichzeitig frei ist.