An was glauben Christen?

Klar ist, Christ zu sein, hat etwas mit Jesus Christus als Person zu tun. Und Jesus Christus ist für Christen der Mensch gewordene Gott. Soweit so gut. Nun geben manche Theologen mit Gott und Jesus Christus dem Menschen ein Gegenüber. Andere setzten Jesus Christus als "Geist" und "Licht" ins innere des Menschen. Weil ich das bisher nicht klar verstanden hatte, habe ich mal nachgelesen, was andere dazu sagen.

Hans Peter Royer, ein österreichischer Evangelist sagte sinngemäß: Jesus lebt in uns. Er schuf mit dem Volk Israel einen neuen Bund. Der alte Bund ist im alten Testament beschrieben. Im alten Bund leitete Gott die Menschen an der Hand - im Außerhalb. Der neue Bund, der des neuen Testaments, setzt Gott in die Herzen der Menschen. Christ sein heißt, Jesus Christus führt uns mit seinem Geist von Innen heraus. Wir haben ihn als Gegenüber in uns. Und wir können mit Christus in Dialog treten. Predigt 1,
Predigt 2

Ich habe mir auch angesehen, was der Unterschied zwischen den anthroposophischen Christen und den evangelischen Christen sein soll. Der systematische Theologe Werner Thiede, der sich in seiner Habilitationsschrift ausführlich mit der Lehre Rudolf Steiners auseinandergesetzt hat, sieht die Anthroposophie klar außerhalb der christlichen Ökumene. Sie sei der Gnosis zuzuordnen. Diese sieht sich als mystische Erkenntnisbewegung und hat sich schon früh vom frühen Christentum abgespalten.

Ich frage: Hat sie sich wirklich selbst vom "wahren" Christentum abgespalten? Oder wurde sie abgespalten von einigen Herren, die im Namen des Christentums ein weltliches Herrschaftssystem etablieren wollten? Wenn man das fragt, ist auch die nächste Aussage des eben genannten Theologen spannend:

"Der Gnosis und eben auch der Anthroposophie geht es darum, dass der Mensch seinen eigenen Kern als göttlich erkennt"- im Christentum ist Gott dagegen ein Gegenüber für den Menschen. www.evangelisch.de

Das weltliche Herrschaftssystem katholische Kirche hat für seine "Gläubigen" auch einen Gott im Außen. Die katholische Kirche erklärt uns, nur durch ausgebildete, ausgewählte Personen spricht er "wirklich" zu uns. Der Papst ist der irdische Stellvertreter Jesu Christi. Von diesem weltlichen Herrschaftssystem hat Luther das Christentum befreien wollen. Sind darum die evangelischen Christen ein kleines Stück näher am wahren Christentum?

Mystik  

Andere beschreiben offen das frühe Christentum als wesentlich mytischer als die katholische (oder auch evangelische) Lehre. Mystischer im Sinne von Erfahrungen stiftend. "Die höchste Religiosität, die sich in dem christlichen Mystizismus ausdrückte, hielt das Geheimnis der Natur und das der Menschwerdung Gottes für ein und dasselbe." www.zeno.org

Demnach macht es keinen Unterschied ob ich die "Natur" als lebensspendende "Christus-Kraft" in mir erlebe, oder diese namentlich Gott nenne. Gott und die Natur sind ein und dasselbe. Beide, Natur und Gott, sind das Leben schöpfende Prinzip. Und es ist in mir.

Willigis Jäger ist ein deutscher Benediktinermönch, Zen-Meister und Mystiker. Er proklamiert die Rückkehr der Mystik. In seinen Kursen macht er Spiritualität erfahrbar. Das heißt, durch meditative Praktiken kann ein Mensch wieder in sich kehren und dort etwas entdecken. Der Lehre nach, und vielen Erfahrungen nach, findet man dort Liebe. Das göttliche Urprinzip der Natur, ja des gesamten Lebens. Und diese Liebe ist der Bibel nach wiederum der Geist des Christus.

Liebe  

Nun sind wir also bei der Liebe. Wir wissen alle ungefähr was das ist. Ich meine nicht die romantische, sondern die wahre, echte, lebendige Liebe. Viele kennen sie. Ihren Urprung nimmt jeder, der sie fühlt, unterschiedlich wahr. Und je nach Fähigkeit, dies zu beschreiben, werden unterschiedliche Modelle geschaffen, zu erklären, woher sie herkommt.

Mit dieser Liebe kann man nun auf verschiedene Weise "kommunizieren". Als evangelischer Christ kann man einen inneren Dialog mit Gott führen. Ich spreche, eine innere Stimme antwortet. Diese Stimme kann man Gott oder Jesus nennen. Aber auch Gewissen oder Spürsinn.

(Manchmal sprechen auch "Dämonen" aus einem, oder in einem. Den Unterschied muss jeder selbst herausfinden. Aber alle Dämonen sind natürlich böse und denken immer nur an sich, sind also das Gegenteil von Nächstenliebe.)

Ich denke, alles was Frieden schafft, weich ist und freundlich, ehrlich, aufrichtig und voller Liebe, das ist im (evangelisch) christlichen Sinne die Stimme von Christus. Christus ist die Stimme der Liebe. Mein Gewissen ist die Stimme der Liebe.

Ist Gott ein Gegenüber?

Nun wieder zu dem theologischen Problem: Wenn ich diese innere Stimme als eine von meiner eigenen Stimme unterschiedliche wahrnehme, dann ist Gott für mich ein Gegenüber. Wenn ich mich mit Gottes Stimme identifiziere, ich also diese Stimme "bin", bin ich selbst an Gott angebunden. Genau das beschreibt ja auch die Anthroposophie: Der Mensch kann sich selbst in seinem Kern als göttlich erkennen. Göttlich im Sinne von: Ich bringe mit Gott, oder durch Gott, oder als ein mit Gott verbundenes Wesen Liebe in die Welt. Gott ist die Liebe in der Welt.

Wie dem auch sei. Glücklicherweise ist das für unser äußere Welt gar nicht so wichtig. Wichtig ist allein die Tatsache, Liebe zu erkennen, zu "hören" und zu leben.  Die Bibel kann dabei helfen, denn das neue Testament ist ein Lehrstück in gelebter Liebe. Jesus lehrt darin dem Leser, die Liebe zu erkennen und zu leben. Das tun übrigens auch viele andere Bücher.

Ob ich aber nun die Liebe als ethisches Prinzip in mir wahrnehme, oder als ein persönliches Jesus-Prinzip, ob ich dieser liebevollen Stimme als einer der dämonischen Stimme gegenüberstehend willentlich Ausdruck verleihe, oder ob ich mich mit der Liebe selbst identifiziere, sollte in der Welt keinen Unterschied machen.

(Es ist zwar ein großer Unterschied. Aber der Unterschied spielt sich im Menschen ab. Nach außen sollten sich beide Menschen in Liebe begegnen.)

Der evangelische Jesus Christus, der evangelikale Jesus, oder der mystisch, anthroposophische Geist Christi, die schöpferische Natur, das lebendige Universum - wenn es die Liebe in mir erweckt, ist es das gleiche.

Eine Wahrnehmung ist übrigens: Mystische Erfahrungsrituale sind sehr wirksam, wirksamer oft als Worte, um die Liebe zu verstehen und zu spüren. Zu einem Kind zu sagen, es solle teilen, ist mit weniger Erfolg verbunden, als es erleben zu lassen, wie es ist, wenn jemand mit ihm teilt.

Fazit

Es geht im Kern des Christentums alleine um die Liebe. Sie in sich selbst zu entdecken, ist der erste Schritt. Und wenn die Liebe entdeckt wurde, sollten wir sie so oft wie möglich leben. Am besten dauernd.

In dem Zusammenhang finde ich einen Gedanken spannend: Wenn ich als Mensch die Liebe entdecke, und dann mit und in ihr lebe, so richtig umfassend und kompromisslos, dann lebe ich komplett in Liebe. Dann lebe ich komplett in Gott. Damit wäre ich der Mensch gewordene Gott.

Wenn wir der Bibel glauben, dann hat Jesus genau das geschafft. Er hat komplett in Liebe gelebt. Und am Schluss mit und durch die Liebe den Tod besiegt. Wenn also jemand den Tod überwinden will will, muss er nur völlig umfassend in Liebe leben. Tadaaa!

An was auch immer man glaubt. Auf der Suche nach der Liebe kann der Inhalt des neuen Testaments sehr hilfreich sein. Und das Vertrauen, einen Jesus im Herzen zu haben, auch.

Ein Mensch in Gottes Güte und Licht

von Jörg Zink

Was ein Mensch im Traum, Extase oder Schau erlebt, kann nur er selbst bezeugen. Wer davon hört, hat die Freiheit, das Besondere zu glauben oder nicht. Ob ein Mensch von Wahrheit berührt wurde, wird aber bemerkbar sein an seinem konkretem und praktischen Erscheinungsbild.

Merkzeichen, an denen sich erkennen lässt, ob ein Mensch von Gottes Güte und vom Licht des Geistes erfasst worden sei, sind aber überall, wohin wir sehen, vor allem drei: Die Güte, die sich ohne Begrenzung allem zuwendet. Die Gerechtigkeit, auch wo sie zum eigenen Nachteil gereicht. Und die Weisheit, die auch fremde und andersartige Lebens- und Glaubensweisheiten gelten lässt, die also der Freiheit unter den Menschen Raum gibt.

Liebe ist das einzige, was wächst, indem wir es verschwenden. pdf