Die zwölf Bilder des Ichs

Die Wunderwelt der zwölf Sinne, wie sie Steiner nach und nach erforscht und genannt hat, erschien mir zunehmend als ein Teil der menschlichen Entelechie. Die Sinne eröffnen uns die reiche, ins Räumlich-Unendliche sich ausdehnende Welt der Wahrnehmungen:
  • Tastsinn
  • Lebenssinn
  • Bewegungssinn
  • Gleichgewichtssinn
  • Geruchssinn
  • Geschmackssinn
  • Gesichtssinn
  • Wärmesinn
  • Gehörsinn
  • Sprachsinn
  • Gedankensinn
  • Ich-Sinn.

Diese Wahrnehmungswelt stellt also die eine Seite des Weltganzen dar.Die andere Seite wird von den zwölf Weltanschauungen in ihren vielfältigen Kombinationen hinzugefügt. Zusammen mit der Wahrnehmungswelt vermögen sie in ihrer vielfältigen Farbigkeit eine Antwort auf das Welträtsel zu geben:

  • Materialismus
  • Sensualismus
  • Phänomenalismus
  • Realismus
  • Dynamismus
  • Monadismus
  • Spiritualismus
  • Pneumatismus
  • Psychismus
  • Idealismus
  • Rationalismus
  • Mathematismus

Sie auch sind letzten Endes Ausdruck der menschlichen Entelechie. Nun möchte ich jetzt als Anregung ein sehr einfaches Beispiel geben, wie dieser Schlüssel, der im Prinzip Wissenschaft, Kunst und Religion erfasst, gehandhabt werden kann. Schauen wir uns eine Rose an. 

Der Phänomenalist wird Farbe, Form, Duft und anderes als reine Kundgebungen ihres Wesens erleben, denn für diese Weltanschauung ist das Faktische schon Theorie. Auch die Schönheit der Dinge ist ihr Gebiet. 

Die Sensualistin, mehr nach innen gewandt, wird unter anderem die Sinnesorganisation des Menschen untersuchen, denn ohne gesunde Sinne, betont sie, gibt es keine Erkenntnis. 

Ferner wird der Materialist anhand der chemischen Beschaffenheit der Rose zu großen Erkenntnissen vorstoßen, nicht zuletzt medizinisch-kosmetischer Art. Nun greifen die mehr spekulativ orientierten Forschenden ein: 

Die Mathematistin entdeckt im geometrisch-mathematischen Wunder der Rose bedeutsame Strukturen wie auch sonst im Weltenall. 

Der echte Rationalist kommt, in seiner ruhigen Betrachtung dieser Blume im Kontext der ganzen Schöpfung, zum Gedanken ihrer sinnvoll-harmonischen Ganzheit, so wie er auch sonst vom Menschen als einem zum Wahren und Guten bestimmten Wesen ausgeht. Er ist der geborene Ethiker. 

Dem schließt sich die Idealistin in ihrer Begeisterung an, denn sie kann von dieser Rose zum Urbild aller Rosen in der unvergänglichen Welt der Ideen aufsteigen, so wie es Plato verkündet hat. 

Mit Selbsterkenntnis, mit dem weiten Feld der Psychologie, aber auch mit der Frage der Tauglichkeit der Seele, die Welt, die Rose, objektiv zu erkennen, beschäftigt sich der Psychist

Aber die Pneumatistin vermag mit ihrem inneren Auge die Rose ahnend-schauend als Ausdruck der Weltseele zu erleben, in die sie dadurch für eine Weile eintauchen kann.

Der wahre Spiritualist erkennt in seiner absolut vergeistigten Anschauung das Wesen der Rose im Geistesraum hierarchisch-spiritueller Wesenheiten. Und die Rose wird ihm so erscheinen wie dem Dichter Albert Steffen, der schrieb, dass Rosen seraphische Gaben sind. Damit wies er auf die Welt der Seraphim, der hohen Geister der Liebe hin wie sie Rudolf Steiner genannt hat.

Und jetzt kommen noch die Dynamistin, die für alle Formen von Energie und Kraft in Gott, Mensch und Welt ein offenes Auge hat so wie für die Vitalkraft der Rose. 

Der Realist in seiner ausgewogenen Anschauung vollendet diesen Reigen, indem er, gleichsam zusammenfassend und integrierend, auf die einheitlich wirkende Fülle von Aspekten aufmerksam macht, die in unserer Rose zu finden sind: Farbe, Form, Substanz, Seele und anderes.

(Der Monadist erkennt das Wesen der Rose als eine in sich geschlossene Monade mit ganz individuellen, mehr oder weniger wachen, geistig-seelischen Inhalten, die er »Vorstellungen« nennt, die nach einer von der höchsten Monade – von Gott – prästabilierten Harmonie in verschiedene lebendige Beziehung zu allen anderen Monaden tritt. A.S.)

Rudolf Steiner sagt, dass sich in der geistig-imaginativen Welt unser Ich als Zwölfheit zeigt:
«Es gibt zwölf verschiedene Bilder jedes einzelnen Ichs, und erst dann, wenn man von zwölf verschiedenen Standpunkten aus […] dieses betrachtet hat, hat man sein vollständiges Ich begriffen. Es verhält sich diese Anschauung des Ichs von außerhalb genau so wie etwas, was sich abspiegelt im Verhältnis der zwölf Sternbilder des Tierkreises zur Sonne. Wie die Sonne […] sozusagen von zwölf verschiedenen Standpunkten unsere Erde bescheint, so bescheint sich auch das Menschen-Ich von zwölf verschiedenen Standpunkten aus, wenn es zurückblickt von der höheren Welt.»

Quelle: https://dasgoetheanum.com/der-ich-kosmos-als-gegenstand-der-forschung/