Kraft durch Gedanken an Reinkarnation

Man denke sich den folgenden Fall: Es widerfahrt jemand etwas, das in ihm recht peinliche Empfindungen her vorruft. Er kann sich nun in zweifacher Art dazu stellen. Er kann den Vorfall als etwas erleben, was ihn peinlich berührt, und sich der peinlichen Empfindung hingeben, vielleicht sogar in Schmerz versinken. Er kann sich aber auch anders dazu stellen.

;Er kann sagen: In Wahrheit habe ich selbst in einem vergangenen Leben in mir die Kraft gebildet, welche mich vor diesen Vorfall gestellt hat; ich habe in Wirklichkeit mir selbst die Sache zugefügt. Und er kann nun alle die Empfindungen in sich erregen, welche ein solcher Gedanke zur Folge haben kann. Selbstverständlich muß der Gedanke mit dem aller vollkommensten Ernste und mit allermöglichen Kraft erlebt werden, wenn er eine solche Folge für das Empfindungs- und Gefühlsleben haben soll.

Wer solches zustande bringt, für den wird sich eine Erfahrung einstellen, welche sich am besten durch einen Vergleich veranschaulichen läßt.

Zwei Menschen — so wolle man annehmen — bekämen eine Siegellackstange in die Hand. Der eine stelle intellektuelle Betrachtungen an über die «innere Natur» der Stange. Diese Betrachtungen mögen sehr klug sein; wenn sich diese «innere Natur» durch nichts zeigt, mag ihm ruhig jemand erwidern: das sei Träumerei. Der andere aber reibt den Siegellack mit einem Tuchlappen, und er zeigt dann, daß die Stange kleine Körperchen anzieht.

Es ist ein gewichtiger Unterschied zwischen den Gedanken, die durch des ersten Menschen Kopf gegangen sind und ihn zu den Betrachtungen angeregt haben, und denen des zweiten. Des ersten Gedanken haben keine tatsächliche Folge; diejenigen des zweiten aber haben eine Kraft, also etwas Tatsächliches, aus seiner Verborgenheit hervorgelockt.

So ist es nun auch mit den Gedanken eines Menschen, der sich vorstellt, er habe die Kraft, mit einem Ereignis zusammenzukommen, durch ein früheres Leben selbst in sich gepflanzt. Diese bloße Vorstellung regt in ihm eine wirkliche Kraft an, durch die er in einer ganz andern Art dem Ereignis begegnen kann, als wenn er diese Vorstellung nicht hegt.

Es geht ihm dadurch ein Licht auf über die notwendige Wesenheit dieses Ereignisses, das er sonst nur als einen Zufall anerkennen könnte. Und er wird unmittelbar einsehen: ich habe den rechten Ge danken gehabt, denn dieser Gedanke hatte die Kraft, die Tatsache mir zu enthüllen.

Wiederholt jemand solche innere Vorgänge, so werden sie fortgesetzt zu einem Mittel innerer Kraftzufuhr, und sie erweisen so ihre Richtigkeit durch ihre Fruchtbarkeit. Und diese Richtigkeit zeigt sich, nach und nach, kräftig genug. In geistiger, seelischer und auch physischer Beziehung wirken solche Vorgänge gesundend, ja in jeder Beziehung fordernd auf das Leben ein.

Der Mensch wird gewahr, daß er sich dadurch in einer richtigen Art in den Lebenszusammenhang hineinstellt, während er bei Beachtung nur des einen Lebens zwischen Geburt und Tod sich einem Irrwahn hingibt. Der Mensch wird seelisch stärker durch das gekennzeichnete Wissen.

Rudolf Steiner, Die Geheimwissenschaft, 1925