Zwei aktuelle Leitschriften skizzieren nichts Geringeres als zwei mögliche Szenarien für die Rettung des Planeten Erde und das Überleben der Menschheit. Es treten an: Die Evangelische Kirche Deutschlands gegen amerikanische Ökomodernisten.
„Ohne technischen Fortschritt, Wachstum und Verstädterung gibt es weder eine humane noch eine ökologische Zukunft“, behaupten die Amerikaner. Es müsse endlich Schluss sein mit der Technikmüdigkeit und dem irrationalen Wunsch, eine Rückkehr zur Natur könne den Menschen heilen. Gentechnik, schreiben die Wissenschaftler, sei ein Mittel zur Lösung vieler Probleme. Auch die Urbanisierung biete mehr Vorteile als Nachteile. Sie verringere vor allem den Nutzungsdruck auf die Fläche, sorge „für eine bessere Materialversorgung der Menschen“ und reduziere die Umweltfolgen. Vor allem weil erstmals in der Geschichte mehr als die Hälfte aller Menschen in Städten lebe, verlangsame sich nun die Wachstumsrate der Weltbevölkerung.
Ein „Paradox der Modernisierung“ formulieren sie selbst: Gerade die Entfremdung von der Natur führe zur Möglichkeit, sie zu erhalten. Als Beispiel funktioniert: Erst die Abkehr vom Holz als Brennstoff ermöglichte die Aufforstung. Als weiterer Beleg soll ein Aspekt aus der Landwirtschaft dienen: Aufgrund technischen Fortschritts würden Landwirte immer weniger grundwasserschädlichen Stickstoffdünger verwenden müssen. Aber die eindimensionale Betrachtungsweise endet noch nicht.
Einige Erfindungen, die das Leben enorm verbessert hätten, nennen sie die vergangenen(!) Erfindungen: fossile Treibstoffe, die Mechanisierung, Kunstdünger, Pestizide, die Elektrifizierung und moderne Transport- und Kommunikationstechnologien. Für die Zukunft würden andere Technologien die „Befreiung der Umwelt von der Wirtschaft“ ermöglichen. Das seien Segnungen wie die glorreiche Aquakultur, die achsoliebliche Atomkraft (weil emissionsfrei und klimafreundlich), der Wasserstoffantrieb und die völlig irrsinnige Meerwasserentsalzung. Denn: Wasserentsalzung schütze Flüsse, Erntesteigerungen schützten Wälder und Steppen.
Die Ökomodernisten betonen natürlich auch: Nur wenn der Mensch der Maßstab der Politik bleibe, werde das von Geologen so genannte Anthropozän ein gutes, wenn nicht sogar großartiges Anthropozän. Und weil Kritikern mit Worthülsen frühzeitig der Wind aus den Segeln genommen werden muss, rügen sie: Modernisierung werde zu oft mit Begriffen wie Kapitalismus, Konzernmacht und freier Marktwirtschaft zusammen gedacht. Ihnen hingegen, den edlen Geistern, gehe es allein um menschliche Bedürfnisse wie Gesundheit, Kunst und Kultur. Das umfasse auch den öffentlichen Naturschutz - aber bitteschön ohne politischen Dogmatismus.
Die Schrift der Evangelische Kirche „Unser tägliches Brot gib und heute“ spricht zum Glück mit Herzenskraft. Ihre Leitmotive haben andere Namen: Weniger-anders-besser. Ökologisch, saisonal und regional einkaufen. Fair Trade. Slow Food. Vom Raubbau zur Nachhaltigkeit. Die Kernaussage lautet: Es ist Zeit für eine „Ethik des Genug“. Sie fordert nicht nur einen zunehmenden Verzicht auf Fleisch und Milchprodukte sondern eine „radikale, an die Wurzel gehende Agrarwende“. Nur die Hinwendung zu einer Koexistenz verschiedener Anbaumethoden, der Erhalt und Rückbau kleinbäuerliche Vielfalt und die Bewahrung alten Wissens ermögliche eine Abkehr vom heutigen Strukturwandel. Das meine ich auch. Dieser hat schließlich in weiten Teilen der Welt in den vergangenen Jahrzehnten zu Hunger und Armut geführt hat - und tut es noch. „Eindimensionale, vorwiegende technische Ansätze führen in die Sackgasse.“
Ich meine: Technik zu loben ist zwar gut, aber lenkt doch vom Kern der aktuellen Herausforderungen - vor allem wenn Technik seit einhundert Jahren im Kapitalismus mittels Konzernmacht in die Welt gebracht wird und weite Teile der Welt verschmutzt, Wälder rodet, Ökosysteme zerstört und Leben ruiniert.
Gemeinsam mit dem katholischen Hilfswerk tritt auch die EKD als ausgesprochener Kritiker des dogmatischen Glauben an das Wirtschaftswachstums auf. Mit den Grünen und dem BUND hegen sie sogar Sympathien für die postmaterielle Wertorientierung der Postwachstumsökonomie. Was auch immer das bedeutet.
Liebe Ökomodernisten, klar, keine Technologie ist von sich aus böse. Aber das aktuelle System hat kein funktionierendes Regulativ das vor Missbrauch schützt. Ganz im Gegenteil. Die Verbreitung von Pestiziden und GVO wird durch Unternehmen wie Monsanto nicht nur ermöglicht, sondern stark beschleunigt. Einfach weil es sich für Monsanto „auszahlt.“ Ok. Wir haben neben den riesigen Schäden, die wir ja nicht sehen, wenn sie uns keiner zeigt, auch riesige Vorteile erhalten. Große Autos, große Häuser, Essen im Überfluss.
Ich frage mich, ob die Ökomodernisten jeglichen Bezug zur Realität verloren haben. Erkennen diese Wissenschaftler die Zusammenhänge nicht? Oder wollen sie ganz gezielt dem Menschen in der westlichen Welt weismachen, dass wir auf dem richtigen Weg sind, wenn wir jede neue Technik dankend annehmen? Sie sehen eine Chance in der Entfremdung des Menschen von seiner Natur? Hallo? Wir sind Teil der Natur. Eine Entfremdung von der Natur ist eine Entfremdung von uns selbst. Die Schäden, die wir in der Natur anrichten, bekommen wir früher oder später immer zu spüren. Nicht alle gleichzeitig. Und leider nicht immer die Verursacher der Schäden, sondern arme Opfer.
Jede neue Technik birgt ungemeine Chancen. Aber wie monströs die Nebenwirkungen neu gewonner Bequemlichkeiten sind, haben ja auch noch nicht alle begriffen. Siehe Handy & Internet vs. NSA-BND-Überwachung.
Ach, Propaganda. Wie überzeugend du manchmal daherkommst.
http://www.ekd.de/download/ekd_texte_121.pdf
http://www.science-skeptical.de/artikel/die-gegenrede-zum-manifest-der-oekomodernisten-der-oekologismus-ist-nicht-modernisierbar/0014045/
http://www.science-skeptical.de/klimawandel/anthropozaen-und-der-mythos-der-nachhaltigkeit/0013997/
http://www.ecomodernism.org/
http://www.theeuropean.de/thilo-spahl/10060-neue-oeko-bewegung-ecomodernists