Vor fast zwanzig Jahren, am 10. November 1998, beschloss in Saarbrücken der Stadtrat, auf der Höhe der Zeit agierend, die Implementierung einer Lokalen Agenda 21. Ein Jahr später simulierte man auf dem *Forum Zukunftsfähiges Saarbrücken* Tatendrang. Aber noch heute liest sich auf Saarland.de die Liste der saarländischen Nachhaltigkeitspartner so, als hätte Nachhaltigkeit absolut nichts mit Wirtschaft zu tun. Quelle 1
Nur das erste aller Ziele der globalen Agenda wurde angegangen. So wie es der Deutsche Bundestag am 1. Juli 2004 einstimmig formulierte und beschloss: „Es ist das wesentliche Ziel des Nationalen Aktionsplans, den Gedanken der Nachhaltigen Entwicklung in (1) allen Bildungsbereichen in Deutschland zu verankern, in (2) alle für nachhaltige Entwicklung relevanten Politikbereiche zu integrieren und (3) als Querschnittsthema zu etablieren.“ Lokal klingt das so: „Mit der Kooperation verschiedener Verbände und Dachorganisationen ist ein wesentlicher Schritt zur Verankerung von Bildung für Nachhaltige Entwicklung im (vor)schulischen und außerschulischen Bereich gelungen.“ Für mich klingt das nach: Wir sprechen von Nachhaltigkeit, erziehen unsere Kinder zur Nachhaltigkeit, tun aber nichts Konkretes. Das geht übrigens munter so weiter: Quelle 2
Mentaler Verkehrsstau
Was den Verkehr angeht, scheint Saarbrücken den Trend komplett
verschlafen zu haben. Die aktuelle Verkehrssituation in Saarbrücken
offenbart im Vergleich mit anderen Städten *Besonderheiten*. Der Modal
Split in Saarbrücken, also die Verkehrsmittelwahl, ist im Vergleich zu
vielen vergleichbaren Städten beschämend UN-nachhaltig: Die Saarbrücker
Bevölkerung legt rund 56 Prozent der täglichen Wege mit dem Auto zurück,
davon 11 Prozent als Mitfahrer, 17 Prozent mit Bus und Bahn, fast ein
Viertel der Wege zu Fuß und sage und schreibe 4 Prozent mit dem Rad. Für
eine so überschaubare Stadt am Fluss ist das lächerlich wenig. Das
widerspricht komplette dem heutigen Planungsverständnis einer
lebenswerten und attraktiven, „einladenden“ Stadt - und steht den Trends
der Mobilitätsentwicklung der letzten zehn Jahre entgegen.
Quelle 3
Doch Saarbrücken hat sich auf den Weg gemacht. Ein Verkehrsentwicklungsplan (VEP) soll die Grundlage für ein nachhaltiges, integriertes und tragbares Verkehrsangebot schaffen. Quelle 4
Wenn das mal nicht bloß Worte sind: „Eine ausgewogene Nutzung aller Verkehrsmittel zur Teilnahme am sozialen und kulturellen Leben soll sichergestellt werden und Belastungen der Gesundheit, die vorrangig dem Verkehr zuzuschreiben sind, sollen reduziert werden. Das städtische Leben soll nachhaltiger gestaltet, die Aufenthaltsqualität gesteigert und die Erreichbarkeit innerhalb der Stadt durch verschiedene Maßnahmen verbessert werden ohne den Aspekt der Verkehrssicherheit außer Acht zu lassen. [...] Vor allem Ziele im Sinne des Klimaschutzes und der Nachhaltigkeit erfordern ein neues Gleichgewicht zwischen den Verkehrsträgern: Mobilitätserfordernisse und Lebensqualität müssen besser in Einklang gebracht, Mobilität stadtverträglicher gestaltet werden.“
Externe Kompetenz im Einsatz
Die Arbeit am neuen *VEP Saarbrücken 2030* begann im Frühjahr 2014. In dem etwa zweijährigen Planungsprozess sind auch die Saarbrücker durch unterschiedliche öffentliche und auch nicht-öffentliche Beteiligungsformate eingebunden. Empfehlungen und Ideen können abgegeben werden. Vorschläge werden gebündelt, in die Planung integriert und dann dem Stadtrat zur Bewertung bzw. Entscheidung vorgelegt.Das Planungsbüro, das das VEP erstellt, erscheint mir kompetent und seine Aufgabe zeitgemäß zu bearbeiten. Bürgerbeteiligung wird kommuniziert und praktiziert. Was diskutiert wird, hat Hand und Fuß. Ich konnte einen der Planer auf einem städtischen E-Bike erleben, denn Ende April 2015 fanden ergänzende Planungsradtouren und Spaziergänge statt, „die den Planungsprozess für interessierte Bürgerinnen und Bürger erlebbar machen“.
Das Interesse am Erlebnis Planung lockte 15 Personen. Auch Mitsprache muss man wohl erst lernen. Oder muss die Stadt erst beweisen, dass sie die Vorschläge umsetzt, bevor sich der Enkel nicht mehr an die Forderungen von Großvater erinnert?
Weitergehend sind im VEP Vortragsreihen mit Fachexperten und Diskussionsrunden geplant, sogenannte Fachforen. Sie sollen den Saarbrückern neue Perspektiven zum Thema Mobilität und Entwicklungstrends aufzuzeigen. Mit dem Motto: Aufwachen, Saarbrücken. Ihr liegt im Herzen Europas! Um euch herum gestaltete sich die Welt neu.
Das VEP ist Teil einer ambitionierten Planungsagenda. Das ganze Paket umfasst: ein Stadtentwicklungskonzept (STEK), ein Städtebauliches Entwicklungskonzept (SEKO), ein Einzelhandels- und Zentrenkonzept (EHK), ein Wohnungsmarktkonzept (WMK), einen Flächennutzungsplan (FNP), ein Freiraumentwicklungsprogramm (FEP) und Integrierte Stadtteilentwicklungskonzepte (ISEK)
Der Begriff Nachhaltigkeit kommt in den Konzepten mehr als einmal vor - so wie seit 1992 fast überall. Sogar beim City-Center-Betreiber ECE: Quelle 5
Ob der Begriff Nachhaltigkeit in Saarbrücken endlich ernst genommen wird, oder an entscheidender Stelle weiterhin als nettes Kindergartenprojekt betrachtet wird, können nur konkrete Maßnahmen beweisen.