In der Einleitung des neuen Agrarberichts wird ein steigendes öffentliches Interesse an bäuerlicher Landwirtschaft festgestellt. Abgesehen davon, dass die Erwartungen der Gesellschaft in vielem an der landwirtschaftlichen Realität vorbeigingen – das grundsätzliche Interesse für das ländliche Leben und Wirtschaften könne gutgeheißen werden: »Denn nur so kann es gelingen, die Art und Weise, wie wir Landwirtschaft betreiben, Lebensmittel erzeugen und sie auf den Märkten handeln zu einem zentralen Thema unserer Gesellschaft zu machen.«
Festgestellt werden auch die beiden Pole, zwischen denen die gegenwärtige politische Debatte um die Landwirtschaft verläuft und die im diesjährigen Bericht schwerpunktmäßig thematisiert werden: »Agrarindustrie und Bäuerlichkeit«.
In den Fokus genommen werden dabei etwa die aktuell heiß debattierten Freihandelsabkommen TTIP und CETA, prekäre lobbyistische Verflechtungen innerhalb der Agrarpolitik, die zunehmende Kommerzialisierung des Lebens durch den Bereich der Bioökonomie (mit grundlegenden Auswirkungen auf Mensch, Tier und Umwelt), agrarindustrielle Bestrebungen in der Entwicklungspolitik und nicht zuletzt die industrielle Tierhaltung, die u. a. mit einem hohen Antibiotikaeinsatz einhergeht und zur Ausbildung von multiresistenten, auch für den Menschen gefährlichen Keimen (MRSA) beiträgt. Gefragt wird zudem aber auch generell danach, was bäuerliches Wirtschaften überhaupt bedeutet und bedeuten kann.
Aktuelle Tierschutzentwicklungen
Gleichsam umfassend wie kompakt stellt der Agrarbericht die aktuellen Entwicklungen im Tierschutz vor. Zur Sprache kommen dabei die beiden aktuellen »Tierwohl-Initiativen« des Bundeslandwirtschaftsministeriums einerseits und des Handels (QS-Tierwohl-Initiative) andererseits, das Verbandsklagerecht für Tierschutzorganisationen und das Klonen von Tieren zur Lebensmittelerzeugung. Ebenso das routinemäßige Kupieren von Schwänzen bei Schweinen und das Verbot des Schnabelkürzens für die meisten der für den deutschen Markt Eier legenden Hennen, das mitunter durch die (an der entsprechenden Stelle leider nicht genannten) Albert Schweitzer Stiftung für unsere Mitwelt erwirkt wurde. Darüber hinaus wird der Leser über noch nicht ausreichende oder sogar gänzlichen fehlende Haltungsvorgaben für Tierarten wie Mastkaninchen, Enten, Gänse und Puten, die erlassenen oder geplanten Verbote des millionenfachen Tötens von männlichen Küken in Nordrhein-Westfalen und Hessen sowie auch über die Praxis der Schlachtung trächtiger, d. h. schwangerer Kühe informiert.Als ein dem Schwerpunktthema des Agrarberichts besonders nahekommender Tierschutzbeitrag kann die Aufarbeitung der »praktisch konkurrenzlose[n] und weitgehend geheime[n] Machtkonzentration auf dem Gebiet der Tierzucht« genannt werden. Hier wird aufzeigt, auf welchen Wegen und in welchen Maßen sich derzeit rund um die Tierzucht eine »livestock genetics«-Industrie (Tiergenetikindustrie) aufbaut, die »auf weitere Konsumsteigerungen tierischer Proteine« hinarbeitet, »als hätten wir eine zweite Erde.« Politisch gefordert wird in diesem Zusammenhang vom Agrarbericht u. a., die industrielle Tierhaltung und -züchtung (inkl. Aquakultur) nicht weiter durch Subventionen zu stützen.
Alternativen zu Tierproduktion und -konsum
Neben der Forderung nach der Abkehr von der Subventionspolitik in der Tierproduktion ergeht aus dem Agrarbericht – mit Hinweis auf die stark umweltschädlichen, düngebedingten Stickstoffüberschüsse in der Landwirtschaft – erfreulicherweise auch die Forderung, die gegenwärtig vielfach hörbaren Appelle zur Reduktion des Fleischverbrauchs in Deutschland durch politische Maßnahmen zu flankieren. Hierbei wird sogar die entschieden progressive Frage gestellt: »Warum kein Werbeverbot für Fleischwaren aussprechen?« Und in einem Beitrag zur Tierschutz verhindernden Billigpreispolitik des Handels heißt es: »Fleischverzicht ist der direkteste Weg zu mehr Tierschutz.«Dass nicht nur die Abkehr vom Fleischkonsum, sondern gerade auch die positive Hinwendung zu einer gänzlich tierproduktfreien Ernährungsweise zu mehr Tierschutz beiträgt und große Potentiale für eine Agrarwende in sich birgt, wird durch einen Beitrag deutlich, der sich mit dem Veganismus als politisches Statement beschäftigt. Hierbei wird u. a. festgehalten, dass eine gesunde Ernährung auf rein pflanzlicher Basis möglich ist und der vegane Konsumstil »die Debatte um die notwendige Veränderung des agroindustriellen Systems« vorantreibt. Eingebettet in diesen Beitrag findet sich zudem noch ein Interview mit Lisa Brünjes und Silke Lamla vom Bio-Veganen Netzwerk (BVN) sowie mit Konstantinos Tsilimekis, Leiter des Wissenschaftsressorts der Albert Schweitzer Stiftung für unsere Mitwelt, in dem der bio-vegane Landbau als machbare und erstrebenswerte landwirtschaftliche Alternative vorgestellt wird.
In einem eigenen Beitrag stellt Konstantinos Tsilimekis schließlich noch gemeinsam mit Anne Bohl, Referentin für Gesundheit und Evaluation im Wissenschaftsressort der Albert Schweitzer Stiftung, die Frage »Immer mehr Fisch auf den Tisch?«, um anschließend auch für die vom Menschen konsumierten Meerestiere die Umstellung auf sowie die Förderung von Ernährungsalternativen zu fordern.
Fazit
Mit einer Vielzahl von hochwertigen Artikeln gelingt es dem kritischen Agrarbericht 2015, seinem Schwerpunktthema gerecht zu werden und die Potentiale einer bäuerlichen sowie die Gefahren einer industrieorientierten Landwirtschaft mehr als zu verdeutlichen. Darüber hinaus gerät auch der Blick insbesondere auf die Tierproduktion und den -konsum nicht zu kurz. Als eine der wichtigsten jährlichen Agrarveröffentlichungen ist auch dieser äußerst informativen Ausgabe wieder eine große Leserschaft und – bezüglich der Forderungen des Berichts – insbesondere auch das Gehör der Politik zu wünschen.Der kritische Agrarbericht 2015 erschien am 15. Januar 2015 als Buch (304 Seiten, € 22,00 zzgl. Porto) und kann direkt über den ABL Verlag bestellt werden. Das Editorial, das Inhaltsverzeichnis sowie ein Infoflyer können auch online eingesehen werden.
Textoriginal auf albert-schweitzer-stiftung.de