Ich denke an Gaius Julius Caesar. Er soll geschrieben haben:
Von Spanien bis an den Limes könnte ein Eichhörnchen sich von Baum zu
Baum hangeln, so dicht sei der Kontinent bewaldet. Als ich vor
wenigen Wochen von Deutschland nach Spanien flog, sah ich die
restlichen Waldflächen aus der Luft. Im Vergleich zur Fläche, die
schon entwaldet waren, erschienen sie klein. In Spanien musste man
den Wald regelrecht suchen. Wie viele Bäume hat der Mensch schon gefällt?
Wie viel Wald hat die Menschheit schon zersägt?
In einem Mittelalter-Film fiel der Satz: "Schau dir diese Fregatte an. Man sagt, fünftausend Eichen wurden für sie gefällt."
In einem Mittelalter-Film fiel der Satz: "Schau dir diese Fregatte an. Man sagt, fünftausend Eichen wurden für sie gefällt."
Während einer Bahnfahrt durch das
Moseltal blicke ich aus dem Fenster. Am gegenüberliegen Ufer, dem
Nordhang, wächst kein Wein. Dort begleitet ein unberührter
Naturwald als grünes Band den Lauf des Flusses. Er ist dicht, steht
jetzt, zu Beginn des Sommers, gut im Saft. Seine Millionen Blätter
flimmern und glitzern im Sonnenlicht.
Ich denke an die felsigen Berge, die
unter der grünen Decke liegen, an deren Klüffte und Kanten. Ich
denke an das Unterholz der schattigen Hänge. Ich erinnere mich, wie ich als Kind quer über den Hang kletterte, über Stämme stieg, durch Dickicht
kroch, viele Kurven und Umwege um Hindernisse machen musste, um an
mein imaginäres Ziel zu gelangen.
Von meiner Seite des Ufers, auf der der Zug fährt, sehe ich
keine felsigen Berge. Sie sind unter dem weichen Waldteppich
versteckt. Das Grün dieses Teppichs wirkt als etwas Ganzes, als
etwas Geschlossenes, als wäre der Wald ein separates Element, das
einfach auf diesen Hängen liegt.
Hätte ich eine riesige Hand, würde
ich über den Wald streicheln, seine sanften Rundungen erspüren, die
er auf Kuppen hat, würde seine Täler bemerken, und erkennen, dass
es dort kühler ist, weil die frisch Luft sich dort sammelt. An
einigen herausragenden Nadelbäumen wäre es etwas rauer.
Ich würde mit meinem Daumen unten an der Kante, wo der Wald ans Wasser der Mosel reicht, die Dicke des Waldteppichs fühlen. Vielleicht würde ich auch etwas pulen, und schließlich den Teppich als Schicht von den Bergen abziehen. Übrig bliebe rauer, schroffer Stein.
Ich würde mit meinem Daumen unten an der Kante, wo der Wald ans Wasser der Mosel reicht, die Dicke des Waldteppichs fühlen. Vielleicht würde ich auch etwas pulen, und schließlich den Teppich als Schicht von den Bergen abziehen. Übrig bliebe rauer, schroffer Stein.
Aber so, wie ich mir das vorstelle, ginge das nicht. Der Wald besteht aus einzelnen
Bäumen, die ihre Wurzeln tief im Erdreich haben, so tief, dass eine
Grenze, wo der Wald aufhört und das Gestein anfängt, kaum gezogen
werden kann. Man sagt, was ein Baum über der Erde hat, hat er auch
unter der Erde. Wie weit wurzelt der Wald in den Berg hinein? Er ist
mit dem Berg verwachsen.
Bäume gelten auch als die irdischen
Wesen, die Sonne und Erde direkt miteinander verbinden. Sie sind der
Übergang von grober materieller Sphäre zur feinstofflich, geistigen
Welt - wobei es auch hier eigentlich keine Grenze gibt, genau wie bei
der Suche nach dem Anfang des Waldes im Boden.
Die Bäume sind einzelne Wesen. Jeder
einzelne wächst tief und reckt seine Äste zur Sonne.
Untereinander konkurrieren sie ein wenig um das beste Licht von
oben, aber ihre Gemeinsamkeit stellen sie nie in Frage.
Ohne die
anderen Bäume stünde ein einzelner nicht im Wald. Alleine könnte
er keinem Reh Versteck bieten, alleine könnte er im Sommer nur ein
wenig Schatten spenden, aber keine Kühlung, alleine würde ein Baum
das bunte Leben, das sich im Wald abspielt, nicht erleben können.
Ohne Wald, ohne die Gemeinschaft der Bäume gäbe es die Waldsphäre
nicht. Der Wald als Singularität besteht allein aus der Gesamtheit
einzelner Wesenheiten.
Was mögen es für Bäume sein, die
dort an den Hängen wachsen? Sie ähneln sich alle, und sind doch so
unterschiedlich, dass wir ihnen Namen gegeben haben. Die knorrige,
stolze Eiche. Die hohe, elegante Esche. Die helle, neugierige Birke.
Ich mag unseren Wald und respektiere
ihn. Ich bin bereit ihn zu schützen. Ich respektiere jeden einzelne Baum. Ich liebe Bäume und Wald. Auch wenn ich mit dieser Einsicht nicht noch einmal nach Spanien
fliegen darf - und ihn nie wieder von oben sehen werde.