Indem der Mensch sich als «Ich» erlebt, kann er nicht anders als dieses «Ich» auf der Seite des Geistes denken; und indem er diesem Ich die Welt entgegensetzt, muss er zu dieser die den Sinnen gegebene Wahrnehmungswelt rechnen, die materielle Welt.
Dadurch stellt sich der Mensch selbst in den Gegensatz Geist und Materie hinein. Er muss dies um so mehr tun, als zur materiellen Welt sein eigener Leib gehört. Das «Ich» gehört so dem Geistigen als ein Teil an; die materiellen Dinge und Vorgänge, die von den Sinnen wahrgenommen werden, der «Welt».
Der Monismus richtet den Blick allein auf die Einheit und sucht die einmal vorhandenen Gegensätze zu leugnen oder zu verwischen.
Der Dualismus sieht Geist (Ich) und Materie (Welt) als zwei grundverschiedene Wesenheiten an, und kann deshalb nicht begreifen, wie beide aufeinander wirken können.
Wie soll der Geist wissen, was in der Materie vorgeht, wenn ihm deren eigentümliche Natur ganz fremd ist? Oder wie soll er unter diesen Umständen auf sie wirken, so dass sich seine Absichten in Taten umsetzen?
Die scharfsinnigsten und die widersinnigsten Hypothesen wurden aufgestellt, um diese Fragen zu lösen. Aber auch mit dem Monismus steht es bis heute nicht viel besser. Er hat sich bis jetzt in einer dreifachen Art zu helfen gesucht:
Entweder er leugnet den Geist und wird zum Materialismus; oder er leugnet die Materie, um im Spiritualismus sein Heil zu suchen; oder aber er behauptet, dass auch schon in dem einfachsten Weltwesen Materie und Geist untrennbar verbunden seien, weswegen man gar nicht erstaunt zu sein brauchte, wenn in dem Menschen diese zwei Daseinsweisen auftreten, die ja nirgends getrennt sind.
Der Materialismus kann niemals eine befriedigende Welterklärung liefern. Denn jeder Versuch einer Erklärung muss damit beginnen, dass man sich Gedanken über die Welterscheinungen bildet. Der Materialismus macht deshalb den Anfang mit dem Gedanken der Materie oder der materiellen Vorgänge. Damit hat er bereits zwei verschiedene Tatsachengebiete vor sich: die materielle Welt und die Gedanken über sie. Er sucht die letzteren dadurch zu begreifen, dass er sie als einen rein materiellen Prozess auffasst. Er glaubt, dass das Denken im Gehirne etwa so zustande komme, wie die Verdauung in den animalischen Organen. So wie er der Materie mechanische und organische Wirkungen zuschreibt, so legt er ihr auch die Fähigkeit bei, unter bestimmten Bedingungen zu denken. Er vergisst, dass er nun das Problem nur an einen andern Ort verlegt hat. Statt sich selbst, schreibt er die Fähigkeit des Denkens der Materie zu. Und damit ist er wieder an seinem Ausgangspunkte. Wie kommt die Materie dazu, über ihr eigenes Wesen nachzudenken? Warum ist sie nicht einfach mit sich zufrieden und nimmt ihr Dasein hin?
Von dem bestimmten Subjekt, von unserem eigenen Ich hat der Materialist den Blick abgewandt und auf ein unbestimmtes, nebelhaftes Gebilde ist er gekommen. Und hier tritt ihm dasselbe Rätsel entgegen. Die materialistische Anschauung vermag das Problem nicht zu lösen, sondern nur zu verschieben.
Wie steht es mit der spiritualistischen? Der reine Spiritualist leugnet die Materie in ihrem selbständigen Dasein und fasst sie nur als Produkt des Geistes auf. Wendet er diese Weltanschauung auf die Enträtselung der eigenen menschlichen Wesenheit an, so wird er in die Enge getrieben.
Dem Ich, das auf die Seite des Geistes gestellt werden kann, steht unvermittelt gegenüber die sinnliche Welt. Zu dieser scheint ein geistiger Zugang sich nicht zu eröffnen, sie muss durch materielle Prozesse von dem Ich wahrgenommen und erlebt werden. Solche materielle Prozesse findet das «Ich» in sich nicht, wenn es sich nur als geistige Wesenheit gelten lassen will. Was es geistig sich erarbeitet, in dem ist nie die Sinneswelt drinnen. Es scheint das «Ich» zugeben zu müssen, dass ihm die Welt verschlossen bliebe, wenn es nicht sich auf ungeistige Art zu ihr in ein Verhältnis setzte. Ebenso müssen wir, wenn wir ans Handeln gehen, unsere Absichten mit Hilfe der materiellen Stoffe und Kräfte in Wirklichkeit umsetzen.
Wir sind also auf die Außenwelt angewiesen. Der extremste Spiritualist, oder wenn man will, der durch den absoluten Idealismus sich als extremer Spiritualist darstellende Denker ist Johann Gottlieb Fichte. Er versuchte das ganze Weltgebäude aus dem «Ich» abzuleiten. Was ihm dabei wirklich gelungen ist, ist ein großartiges Gedankenbild der Welt, ohne allen Erfahrungsinhalt.
So wenig es dem Materialisten möglich ist, den Geist, ebenso wenig ist es dem Spiritualisten möglich, die materielle Außenwelt wegzudekretieren.
Weil der Mensch, wenn er die Erkenntnis auf das «Ich» lenkt, zunächst das Wirken dieses «Ich» in der gedanklichen Ausgestaltung der Ideenwelt wahrnimmt, kann sich die spiritualistisch gerichtete Weltanschauung beim Hinblicke auf die eigene menschliche Wesenheit versucht fühlen, von dem Geiste nur diese Ideenwelt anzuerkennen.
Der Spiritualismus wird auf diese Art zum einseitigen Idealismus. Er kommt nicht dazu, durch die Ideenwelt eine geistige Welt zu suchen; er sieht in der Ideenwelt selbst die geistige Welt. Dadurch wird er dazu getrieben, innerhalb der Wirksamkeit des «Ich» selbst, wie festgebannt, mit seiner Weltanschauung stehen bleiben zu müssen.
RUDOLF STEINER, Die Philosophie der Freiheit, Grundzüge einer modernen Weltanschauung, Seelische Beobachtungsresultate nach naturwissenschaftlicher Methode, 1894, Kapitel II. DER GRUNDTRIEB ZUR WISSENSCHAFT