"Es tut gut, wenn das Gewissen breite Wunden bekommt, denn dadurch wird
es empfindlicher für jeden Biß. Ich glaube, man sollte überhaupt nur
solche Bücher lesen, die einen beißen und stechen. Wenn das Buch, das
wir lesen, uns nicht mit einem Faustschlag auf den Schädel weckt, wozu
lesen wir dann das Buch? Damit es uns glücklich macht, wie Du schreibst?
Mein Gott, glücklich wären wir eben auch, wenn wir keine Bücher hätten,
und solche Bücher, die uns glücklich machen, könnten wir zur Not selber
schreiben. Wir brauchen aber die Bücher, die auf uns wirken wie ein
Unglück, das uns sehr schmerzt, wie der Tod eines, den wir lieber hatten
als uns, wie wenn wir in Wälder verstoßen würden, von allen Menschen
weg, wie ein Selbstmord, ein Buch muß die Axt sein für das gefrorene
Meer in uns."
Franz Kafka, Briefe, 1902 - 1925
Gefunden in
Friedrich Schorlemmer - Eisige Zeiten. Ein Pamphlet, München 1998