Immer wieder stolpere ich in der sogenannten "spirituellen Szene" über Aussagen, Einstellungen und Andeutungen, die das Anderssein abwerten und als krank diffamieren, es als nicht lebenswert erachten. Oft folgt dann soetwas wie "Menschlichkeit", innerhalb derer zumindest gewünscht wird, "das Anderssein würde geheilt werden". Und wenn das nicht geht, weil man ja einen "schwarzen" nicht "weiß heilen" kann, doch zumindest klar wird, dass das Weiß-sein, eben auch spirituell "höher schwingend" und darum reiner sei. Oft folgt in diesem Kontext dann noch die Wut darüber, dass böse Mächte versuchen, Deutschland aufzulösen, wobei eine Definition, was Deutschland sei (und noch schöner: deutsch sein bedeute), völlig vernachlässigt wird.
Ich wundere mich sehr über die Kreativität der Menschen, scheinbare Gründe zu finden, die die eigene Xenophobie (Angst von dem Fremden) nicht zum Kern des Problems machen. Und was Deutschland angeht: Deutschland wird sich auflösen, genauso wie alle anderen Nationalstaaten auch. Nicht morgen. Aber irgendwann. Genauso wie das Königreich Schwaben nicht mehr existiert. Nur zur Verdeutlichung: Von außen mag Spanien vielleicht spanisch und als Einheit wirken. Fragt mal, was die Basken und die Catalanen dazu sagen. Wären da alle unglücklich wenn der Staat Spanien sich auflöse? Und was verbindet nochmal einen Menschen von der Nordsee kulturgeschichtlich mit einem aus dem Voralpenland? Die Sprache? War das nicht ein Gesetz eines Staates ab sofort "Hochdeutsch" zu sprechen und die Steuern an den Gleichen zu zahlen? Das Volk wollte sich als Deutschland vereinen? Junge Junge Junge. Schon interessant, wie sich das faschistische Gedankengut auch in der "spirituellen Szene" ausbreiten kann.
Ich danke Carolin Emcke von Herzen für ihr mutiges, persönliches Buch "Wie wir begehren". Ich zitiere die Seite 111.
Obgleich die Justiz der neu gegründeten Bundesrepublik sich 1949 verpflichtet hatte, nur Gesetze aus der Zeit des Nationalsozialismus zu übernehmen, soweit sie dem neuen Grundgesetz nicht widersprachen, galt mit Hinblick auf das Sexualstrafrecht die faschistische Tradition fort, in der Homosexualität als „Unzucht“ kriminalisiert wurde. In der Verschärfung des seit 1872 bestehenden Paragraphen hatten die Nationalsozialisten 1935 bereits die „subjektiv wollüstige Absicht“ eines Mannes, der einen anderen begehrt, unter Strafe gestellt. Demnach brauchte es nicht mehr „beischlafähnlichen Handlungen“, was immer das heißen sollte, es brauchte nicht einmal mehr eine Berührung, sondern es genügte, wenn das allgemeine Schamgefühl verletzt wurde. Was das genau bedeuten sollte oder wann das Schamgefühl verletzt wurde, blieb willkürlich bestimmbar. Das Verbot der Homosexualität wurde mit biopolitische Rhetorik gerechtfertigt: Ideologische Konzepte von hygienischer und moralischer Reinheit mischten sich, die „sittliche Gesunderhaltung des Volkes“ verlangte den Schutz vor der „seuchenartigen Ausbreitung der Homosexualität.“
Diese Vorstellung der Homosexualität als „Seuche“, als „Krankheit“, die sich „epidemisch“ ausbreiten konnte, hat mich immer erstaunt. Woraus speist sich eine solche Fantasie? Wie soll die Ansteckung funktionieren? Durch Anschauen? Wer dem Anblick von Schwulen ausgesetzt wird, der wird selbst schwul? Durch Tröpfchenübertragung? Durch Sex?
Das Buch ist wunderbar. Und die Seiten 110 bis 117 bringen es sowas von auf den Punkt.
Ich schickte einer spirituell und psychologisch arbeitenden Person im Jahre 2017 den Link zur Rede von Carolin Emcke zum Erhalt des Friedenspreis. https://www.youtube.com/watch?v=CRkf6k7CYXI
Die Antwort, die ich erhielt war:
Hallo,
danke für den Link, habe stellenweise reingehört ... haarsträubend, die Dame.
Mehr sag ich dazu jetzt nicht ;-)
Liebe Grüße