Ich war vor zehn Tagen auf dem Welt-Weit-Wissen-Kongress in Bonn. Dort wurde mir erneut klar: Die Grundlage aller Aktivitäten ist ein offener, ehrlicher Kontakt zwischen uns Menschen. Ohne eine tiefgreifende, respektvolle Kommunikation werden viele unserer Mühen, die Welt zu verbessern, verpuffen. Die Zeit falscher Rollenspiele und künstlicher Funktionärsdenke muss enden. Und das tut sie Gott-sei-dank auch. Der Wandel beginnt bei unserer Haltung, die wir gegenüber uns selbst, der Welt und unseren Mitmenschen einnehmen: einer authentischen Haltung, voller Respekt - ja voller Liebe.
Besonders klar wurde mir das in Workshop 4 - Lust auf mehr! Globale Neugier wecken bei bildungsungewohnten Zielgruppen. Zwei Heldinnen des Alltags berichteten von ihrer Arbeit mit Menschen, die aus dem Bildungssystem gefallen sind, weil sie nicht normal genug sein konnten, um den Forderungen des Systems gerecht zu werden. Dass es tatsächlich Schuld des System ist, und nicht die der Schüler, nicht deren Unwillen gegenüber der Schule zuzuschreiben, zeigt die Arbeit der beiden Frauen. Sie erleben jeden Tag: Menschen haben immer Lust, etwas zu lernen, wenn die Lernbegleiter sie in ihrer Eigenheit respektieren, sie dort abholen, wo sie gerade stehen, sie nicht als Objekte betrachten, sondern liebevoll mit ihnen umgehen.
Die beiden Frauen ermöglichen es Menschen zwischen 17 und 27 unter anderem den Hauptschul- oder den Realabschluss nachzuholen; mit Hilfe von Methoden des Globalen Lernens, mit Bildung für Nachhaltige Entwicklung. Sie verwenden die gleichen Methoden wie andere Lehrer bei hochgebildeten Lehrerfortbildungen.
Auf meine Frage hin, was ihre Arbeit den nun speziell mache, antworteten beide: „Wir müssen uns noch ausführlicher den Menschen zuwenden. Das wichtigste ist, die Schüler_innen ernst zu nehmen, ihre Erfahrungen zu respektieren, ihnen Zeit zu geben, sie einzuladen und mit ihnen in Dialog zu treten. Mit viel Feingefühl lassen sich die Schüler_innen dann auf den Unterricht ein. Und schaffen die Schulabschlüsse.“
Entlang eines Oberthemas und vorgegebener Rahmenbedingungen werden die Schüler_innen mit Hilfe aktivierender Fragen dort abgeholt, wo sie stehen. Jedes Thema wird wiederum mit deren Lebensalltag zusammengeführt. Ich bin begeistert, wie genial diese Art des Unterrichts ist: Wissen erleben! Themen selbst diskutieren. Themen eigenständig mit dem eigenen Leben in Verbindung bringen. Ernst genommen werden. In die Selbstwirksamkeit finden! Seine wahren Bedürfnisse kennenlernen und darüber sprechen lernen. Eine wichtig Beobachtung ist: Die wahren, persönlichen Bedürfnisse sprechen nicht nur Schüler kaum aus, sondern auch Universitätsdekane haben Schwierigkeiten damit. Darum wirken die Methoden bei Kindern genauso wie bei Erwachsenen, die mitten im Beruf stehen.
In Workshop 17 - Forschungswende für Nachhaltige Entwicklung erfuhr ich von der Arbeit von Netzwerk n - nachhaltige Hochschule. Diese Initiative möchte, dass die Forschung, die nachhaltiges Leben & Arbeiten erforscht, damit beginnt, selbst nachhaltig zu leben und zu arbeiten. Dafür sprechen sie mit Akteuren aus Verwaltung, Politik, Forschung und Wirtschaft.
Überall dort, wo Netzwerk n erkennt, was für persönliche Interessen leitend sind, geht es voran. Ein Dekan war, ohne es zu sagen, nur über finanzielle Aspekte dazu zu bewegen, dem Thema Nachhaltigkeit an seiner Uni Aufmerksamkeit zu schenken. Dieses Bedürfnis seiner Funktion formulierte er natürlich nicht direkt. Erst ein offenes Verständnis für ihn und seine Arbeit ermöglichte Fortschritte.
Ein anderes Projekt von Netzwerk n zielte darauf ab, den Verbrauch von Coffee-to-go Bechern zu reduzieren. Man kam keiner Lösung nahe, weil man nicht danach suchte, welche Bedürfnisse, die Menschen dazu bewegten, die Becher zu kaufen. Auch Aufklärungsarbeit verpuffte wirkungslos. Ich sagte dem Netzwerk n, Methoden des Globalen Lernen könnten helfen, Selbstwirksamkeit zu begreifen. Die Methoden begleiten in die Selbstreflexion und in das Bewusstsein für die Verantwortung unseres eigenen Handelns.
Um den eigenen kleinen Lebenskosmos ging es auch in Workshop 28 - Neue Orte und Zielgruppen erreichen mit entwicklungspolitischer Bildung. Dort referierte ein Mitarbeiter des finep - Forum für internationale Entwicklung + Planung. Das finep nutzt kreative Werbestrategien und erreicht Banker in der Hotellobby, 1.Klasse Passagiere der Bahn, Schafzüchter in Dorfhausen und Yuppies im HardRockCafe. Was sie machen, ist im Prinzip einfach: Sie denken sich in die Zielgruppe ein, studieren ihre Lebenswelt und ihre Bedürfnisse. Sie recherchieren, forschen, analysieren - und handeln erst dann. Gezielt. Pointiert. Wirksam.
Zwei der wichtigsten Erkenntnisse ihrer Arbeit sind: Wenn Nachhaltigkeit ankommen soll, darf sie nicht nur von Menschen mit ausgefransten Wollpullis auf selbstgebastelten Flyern mit erhobenem Zeigefinger kommuniziert werden. Das gleiche habe ich in der Design-Stadt Köln gelernt. Wenn Nachhaltigkeit für mich wahrnehmbar attraktiv auftritt, stilvoll und als persönlicher Gewinn für mich, dann bin ich viel schneller in neuem Handeln - und viele andere auch!
Denn in Wirklichkeit ist jeder Mensch so drauf: Bevor ich an den Cafébauer in Nicaragua denke, denke ich in erst einmal an mich. Das entscheidende ist nur, wie ehrlich ich an mich denke. Globales Lernen und tolle Kampagnen können mich dazu bringen, dass ich so denke: Es ist besser für MICH, wenn der Cafébauer fair bezahlt wird und ich unsere Umwelt nicht kaputt mache - denn ich realisiere, ich habe ein Gewissen, ich bin liebevoll und bereit, mit meinem Handeln Verantwortung für die Welt mitzutragen. Das Glück eine Cafébauers kann auch mein Glück mehren, viel profunder als jede zusätzliche Tasse Kaffee. Das Glück eines anderen Menschen macht auch mich zu einem glücklichen Menschen.
Aus dieser inneren Erkenntnis erwächst die Kraft, das eigene Handeln hin zu verantwortlichem Handeln für die ganze Welt zu ändern.
An dem Kongress nahmen 400 Menschen teil. Es sprachen Engagierte aus Irland, Kanada, Berlin und Buxtehude. An vielen Orten weltweit engagieren sich Menschen für Werte, die für alle gelten. Das gab es zwar schon immer. Aber zu sehen, dass dieses Engagement zunehmend in der Mitte der Gesellschaft ankommt, war eine belebende Erfahrung. Der Kongress war wie ein starker Rückenwind; für mich als Mensch und für mich als frisch gebackenen Eine Welt-Regional-Promotor.
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