Die Kunst, Pflanzen zur Blüte zu ziehen, ist der Achtsamkeit zuzurechnen, die manchen menschlichen Beziehungen fehlt. Ob eine Pflanze zu wenig Wasser hat, oder ob ihre Wurzeln ertrinken, ob ihr zu wenig Sonnenenergie keine Kraft schenkt, oder ob die Hitze ihre Zellen verbrennt, ob die müde Luft im Raum schlechte Träume schafft, oder ob ständiger Durchzug keine Ruhe lässt - wir müssen achtsam sein, dass die Bedingungen optimal sind. Sind wir nicht zu Recht stolz auf die Blühte einer Pflanze, die wir selbst gesät haben?
Die kleine Schülerin lernt Geige. Ihre Wangen sind rosig und prall, wie ein reifer Apfel. Wenn sie spielt, verwandelt sich Wein in Wasser, aus den Dielen sprießen Knospen und die Perlen am Collier der Lehrerin springen davon und hüpfen zurück in ihre Muscheln.
Hat die Heizung die Menschen verändert? Früher hat man Feuer gemacht. Meistens konnte man es sich nur für einen Raum leisten. Dort, am Kamin, oder beim Ofen, im Schein des Feuers, traf sich die Familie. Dort unterhielt man sich, musizierte, sprach, schwieg und lauschte. Man war sich nah. Es war recht dunkel. Viele Sinne waren wach, weniger die Augen, die alles fressenden. Es war kuschlig und friedlich. Heute kann man sich Hallen erleuchten, im Hemd durch Flure wandern und nicht wissen, ob draußen Nacht, Winter oder Krieg ist. Also Ja, die Heizung hat die Menschen verändert.
In unsere Wohnung voller Berufstätiger zog vor wenigen Tagen ein junges Weiblein. Es räumte die Ecken aus und gewöhnte sich recht schnell an die neuen Räume. Die Rythmen aller Mitbewohner waren kompatibel zum Lebensrythmus des jungen Mäuschens. Schnell kam Routine auf. Alles schien auf ein harmonisches Miteinander eingestimmt. Da macht es einen Fehler: Es stellte sich nackt zwischen meine Freundin und mich. Ginge es nach ihr, bekäme es Gardinen von mir. Gardinen aus Stahl. Ich will es mit einer Sprengladung aus meiner Wohnung bomben, bevor es zu Nachwuchs kommt.
Bleibt beim Kochen die Musik einmal aus, ist es gar nicht still. Es bekommt das Schneiden einer Zwiebel ein Geräusch. Es klingt metallisch und knirscht ein wenig. Ist das Messer scharf, klingt es, als würde sich die Zwiebel hingeben, gerne zerteilt werden und erleichtert ausatmen. Ist es stumpft, wehrt sie sich und es quatscht, als würde die Frucht sich beleidigt übergeben. Bei jedem Schnitt berührt die Klinge kurz das Schneidebrett. Manchmal klopft sie kurz an, manchmal fährt sie rasch über das Holz, mit der Lust, auch dessen Zellen zu teilen. Das Holz antwortet mit einem Lächeln. Nach jedem Schnitt reibt die Zwiebel auf der Maserung. Sie haftet ein wenig, wie Hände auf Samt, ganz sanft streicht es gegen den Strich. Im Topf schmilzt die Butter. Es spritzt und knackt. Der Rührlöffel schabt, die Zwiebel bruzelt, der Dampf rauscht. Der Deckel klappert, der Herdschalter klackt. Es schmatzt im Mund und schluckt der Hals. Dann gurgelt der Bauch und knarzt der Stuhl. Also war doch Musik dabei.
Die elektrische Zahnbürste hat einen Rhythmus: Zwei Minuten lang piepst sie alle dreißig Sekunden einmal. Je nach Tagesform erscheinen die zwei Minuten machmal länger, manchmal kürzer. Aber nie ist die Wahrnehmung der Zeit unterschiedlicher als zwischen betrunken und bekifft. Mit Alkohol im Blut sind die zwei Minuten sehr schnell vorbei. Da kommt das erste Piepsen schon kurz nach dem Anschalten. Das zweite verschallt unbemerkt. Das dritte ebenso. Dann tropft Zahnpasta auf den Pulli und schwupp, ist das Ding wieder aus, ohne dass ein klarer Gedanke entstanden ist. Mit THC im Blut gleichen die zwei Minuten einem Kuscheln mit der Ewigkeit: Wie schön glänzt denn heute bitteschön der Messinghahn? Wer hat ihn eigentlich eingebaut? Und es folgt in Gedanken die gesamte Biographie des Handwerkers, mit allen schicksalshaften Prägungen, die ihn dazu veranlassten, vor mehr als vier Jahren diesen Wasserhahn einzubauen. In seiner Kindheit angekommen piepst es zum ersten Mal.