"Die Bedeutung des privaten Konsums als tragender Säule der Wirtschaft kann nicht hoch genug geschätzt werden. Die Wurzeln des nicht enden wollenden Kaufrausches in den Industrieländern und den urbanen Regionen der Schwellenländer reichen bis zum Ende des zweiten Weltkrieges zurück, als in den USA die Angst aufkam, mit dem Abebben der Rüstungsaufträge drohe wieder Massenarbeitslosigkeit. Findige Ökonomen machten daher den Vorschlag, den privaten Konsum anzukurbeln und dadurch neue Arbeitsplätze zu schaffen. Die Idee war unglaublich erfolgreich. Schon im Jahr 1955 formulierte Victor Lebow, ein amerikanischer Marketingfachmann, ein neues Konsumleitbild:
"[...] unsere ungeheuer produktive Wirtschaft verlangt, dass wir den Konsum zu unserem Lebensstil und den Kauf und die Nutzung von Gütern zu einem Ritual machen, dass wir unsere spirituelle Befriedigung und die Erfüllung unseres Selbst im Konsum suchen." (Worldwatch Institute 2010: 49)
Dieses Leitbild hat im Laufe der Jahrzehnte seinen Siegeszug um die Welt angetreten und ist heute dabei, auch in den Schwellen- und Entwicklungsländern Fuß zu fassen.
Um den privaten Konsum zur tragenden Säule des Wirtschaftswachstums zu machen, bedurfte es aber einer Reihe flankierender Maßnahmen, allen voran das Hervorrufen ständig neuer Bedürfnisse beim Verbraucher. Fanden die neuen Produkte in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg mit relativ geringem Werbeaufwand ihren Absatz, änderte sich dies, als die Unternehmen, zunehmend auf gesättigte Märkte stießen - mehr als ein Radio, eine Waschmaschine, eine Geschirrspülmaschine etc. in einem Haushalt war zunächst nicht abzusetzen. Die kreativen Möglichkeiten in der Schöpfung neuer oder vermeintlicher Bedürfnisse, für die bisher seitens der Verbraucher keine Nachfrage bestanden hatten und deren Befriedigung in der Regel auch keinen Beitrag zu Steigerung der Lebensqualität leistet, wurde perfektioniert
Mit zunehmender Sättigung der Märkte musste die Werbung verfeinert und intensiviert werden. Heute beherrscht sie uns allumfassend - bin in den privatesten Bereich hinein. So wundert es nicht, dass die weltweiten Werbeaufwendungen der Wirtschaft inzwischen jährlich etwas 640 Milliarden US-Dollar erreicht haben. Die Ironie für den Verbraucher: Diese Aufwendungen werden über die Preise auf ihn abgewälzt."
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von Klaus Wiegandt, Stifter und Vorstand des "Forums für Verantwortung" und gemeinsam mit Harald Welzer Herausgeber der Edition Forum für Verantwortung im Fischer Verlag. Der Auszug ist aus der zweiten Auflage des Bandes Wege aus der Wachstumsgesellschaft, Frankfurt am Main, 2014, aus dem Artikel Hindernisse auf dem Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung, von Seite 68.