Können die bisherigen Ausführungen akzeptiert werden, so sind wir nun endlich frei und offen für dasjenige, was uns der ganze Charakter und die Geschichte der Sprache laut zurufen: nämlich, dass die herrschende Voraussetzungen, die Materie sei in der Entwicklungsgeschichte des Universums dem Geistigen vorausgegangen, ein historischer Trugschluss ist, und zwar leider einer mit sehr weitreichenden Konsequenzen.
Es wird uns klar, dass Subjektivität niemals, weder ontogenetisch noch phylogenetisch etwas ist, was an einem bestimmten Ort im Raum aus dem Nichts entstanden wäre, sondern eine Form von Bewusstsein darstellt, das sich aus der Peripherie in individuelle Zentrum zusammengezogen hat.
Im phylogenetischen Sinne wird uns deutlich, dass die Aufgabe des homo sapiens, als er in physischer Gestalt auf der Erde aufzutreten begann, nicht darin bestand, irgendwie aus dem Nichts heraus eine Denkfähigkeit zu entwickeln, sondern darin, die unfreie Weisheit, welche er durch seine Organisation als gegebenen Bedeutungsinhalt erlebte, in die frei Subjektivität zu verwandeln, die nur in einem aktiven Denken, einer individuellen Denkaktivität entsprechen kann.
Wie die Philosophiegeschichte das spätestes Stadium dieses äonenlangen Prozesses reflektiert, so spiegelt sich in der semantischen Geschichte der Wörter „Subjekt “und „subjektiv“ die Geschichte der Philosophie. So finden wir zum Beispiel im Oxford English Dictionary, durch Zitate illustriert, für das 17. Jahrhundert die folgende lexikalische Bedeutung dieses Wortes: dem Wesen oder der Realität eines Dingens zugehörig; real, wesentlich.
Eine weitere lexikalische Bedeutung, nun aber nur bis in die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts zurückreichend, ist: seine Quelle im menschlichen Bewusstsein habend. Daraus wird in der zweiten Hälfte desselben Jahrhunderts: einem individuellen Subjekt oder seinen geistigen Funktionen eigen oder zugehörig… persönlich, individuell.
Wir haben also bis jetzt mit „subjektiv“ etwas Reales verbunden, und zwar im Zusammenhang mit einer allmählich zunehmenden Betonung einer Aktivität des Individuums. Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kommt es schließlich in gewisser Beziehung zu einer endgültigen Umkehrung der ursprünglichen Wortbedeutung, so dass das Adjektiv, dessen lexikalische Bedeutung ursprünglich real, wesentlich war, nun die folgende lexikalische Bedeutung erhält: nur im Bewusstsein („mind“) existent, ohne irgendetwas Reales, dass ihm entsprechen würde; illusorisch, fantastisch.
Owen Barfield - Der Sprecher und sein Wort, Dornach 1967, S.100