Nein - Hochmoderne Lastenräder

Ein guter Freund schrieb mir eine sms: „Wenn ich schon meckere, dass zu viele Menschen unsinnig viel Auto fahren, sollte ich mich selbst auch damit beschäftigen, wie ich weitere Fahrten vermeiden kann. Lastenrad - das ist die Lösung.“
Beim nächsten Treffen fragte ich ihn, wie er sich das vorstelle. Seine Erklärung klang überlegt: „Ich fahre häufiger für die ganze Familie einkaufen. In das Ding würden zwei Kästen Bier reinpassen. Auch Carlos [seinen Sohn] in die Kita zu bringen, wäre einfacher. Baumarkt. Picknick. Alles wäre viel leichter zu transportieren. Auch Sophie [seine Frau] könnte damit einkaufen. Sie käme viel besser den Berg hinauf. Wir bräuchten viel weniger Autofahrten.“
„OK“, antwortete ich. „Das verstehe ich. Super Ansatz. Hast du auch schon Sofie gefragt. Was hält sie davon? Hat sie Bock auf ein Lastenrad?“
„Äh - nein“, antwortete er.
„Könnte es sein“, grinse ich, „dass du einfach gerne ein Lastend kaufen willst, weil der Katalog super Bilder hat, du es dir leisten kannst und ein Lastend einfach geil wäre?“
So unterhielten wir uns noch eine Weile, bis bei meinem sehr aufgeschlossenen und mit Freude auch mal selbstkritischen Freund die Einsicht erwachte, dass es tatsächlich so sein könnte. Ich sprach keine detaillierte Empfehlung der Alternativen an. Doch als externer Betrachter grenzte ich verschiedene Gründe für ein Lastend voneinander ab:

1. Weniger Auto fahren.
2. Den Transport auch ohne Auto so einfach wie möglich machen.
3. Sofie zur Nutzung des Fahrrads bewegen.
4. Ich will ein Lastenrad kaufen.

Schon beim Lesen dieser Liste ist zu merken, was verantwortungsbewusste, gemeinwohlorientierte Aspekte sind und was emotionale Glücksherstellung sein soll - es ist, na?
Richtig, lieber Freund. Es ist Punkt vier. Genau. Dieses Bedürfnis, dieser Trieb, diese Idee von Punkt vier ist so mächtig, dass wir darüber hinaus versäumen, wirklich rational an derartige, gut gemeinte und sogar unbequeme Veränderungen heranzugehen. Als Externer diese zu Erkennen, war mir in diesem Fall viel leichter möglich, weil mich nicht die Lastenradkauflust berauscht hatte. Also haben wir folgende Situation:

1. Weniger Autofahren geht unter anderem zu Fuß, mit dem Bus, mit dem vorhandenen Fahrrad, mit dem vorhandenen Fahrradanhänger, durch eine neue Mitbring-Organisation mit der Nachbarin, durch eine bessere Vorratshaltung, durch weniger Das-Haus-Verlassen, durch mehr Gartenarbeit, durch mehr Planung.

2. Den Transport auch ohne Auto so einfach wie möglich machen:
Der Wunsch nach Bequemlichkeit in der Veränderung macht uns kreativ in der Lösungssuche. Denk. Dein Kopf ist rund, damit die Gedanken die Richtung wechseln und so. Siehe Punkt 1.

3. Sofie zur Nutzung des Fahrrads bewegen:
Wenn dieser Punkt ernst gemeint ist, er also wirklich möchte, dass Sophie mehr Rad fährt, sollte er das unvoreingenommene, ergebnisoffene Gespräch mit Sofie so früh wie möglich suchen, immer wieder über veränderte Sichtweisen sprechen, nicht für sie entscheiden und vor allem ihre Bedürfnisse als genauso wichtig und gültig akzeptieren, wie seinen eigenen Punkt vier; seien sie noch so verrückt oder egoistisch.

4. Ich will ein Lastenrad kaufen:
Wir erkennen die Irrationalität bei anderen viel schneller, als bei uns selbst. Haben wir sie jedoch bei uns erkannt, neigen wir dazu, die gleiche Einsicht sofort und direkt von anderen zu fordern. Das lässt sich bei frisch gebackenen Vegetariern gut beobachten: Ich bin jetzt Vegetarier. Ab sofort müssen alle anderen auch Vegetarier werden. Dabei wird der Prozess, bis zur Entscheidung, vegetarisch zu leben, mit einem Mal weggewischt.

Nachdem mein Freund nun seine Kauflust beobachtete hatte, konnte er eine neue Position zu dieser Einsicht entstehen lassen. Schon vier Stunden nach unserem Gespräch, mitten auf einem Waldspaziergang, in der Gesprächspause zwischen zwei völlig anderen Themen, sagte er plötzlich: „Irgendwie haste ja schon recht. So ein Lastenrad ist zwar cool. Aber ich denke, mit einem E-Bike, das Sofie und ich mit dem Anhänger nutzen können, ist es auch getan. Wir bleiben dabei viel flexibler in der Nutzung. Sofie muss kein Lastend fahren wollen. Und das E-Bike kostet 3.000 Euro weniger. Aber haste das Modell Känguruh gesehen. Sieht schon geil aus, oder?“