von Marc Desaules
Beim Blick in die Welt erleben wir gegenwärtig, dass an jedem Tag unser Rechtsempfinden neu strapaziert wird. Dinge finden statt, die vorher nie denkbar gewesen wären. Und sie treffen unser Dasein als Menschen und als Menschheit zutiefst. Die über lange Zeit aufgebaute Rechtsordnung zwischen den Menschen, zwischen den Institutionen und zwischen den Ländern - sie trägt nicht mehr.
Was kann in dieser Situation der Einzelne noch tun, um neue Ordnung zu ermöglichen? Zuerst, den Horizont erwei-tern. Denn, so Rudolf Steiner, es sind Wesen im Geistes, im Rechts- und im Wirtschaftsleben wirksam: Im Geistesleben stossen wir auf das Wirkensgebiet der Engel, im Rechtsleben auf das der Erzengel und im Wirtschaftsleben auf dasjenige der Archai. Im Volksseelenzyklus («Die Mission einzelner Volksseelen», GA 121) zeigt er auf, wie diese Wesen uns in allem, was wir im Sozialen tun, begleiten, und legt damit offen, was im Hintergrund der weltpolitischen Ereignisse geschieht, je nach dem freilassend oder bestimmend.
Das ist nicht nur einfach. Denn in jeder menschlichen Gemeinschaft tritt uns nicht nur ein Wesen, sondern gleich deren vier entgegen: der Erzengel, der als Volksgeist unser Zusammensein auf dem Fleck Erde, wo wir leben, begleitet und der sich in der erlebten Zugehörigkeit und in den Regeln, die wir uns gegenseitig zusprechen, zeigt. Er kann als unseres Erdenraumes Geist angesprochen werden. Ihm zur Seite steht, auch als Erzengel, der Sprachgeist, mächtiger als er wirkend, weil er ein zweimal zurückgebliebener Geist ist.
Über dem Volksgeist west der Zeitgeist, ein Arche, der die Qualität einer Epoche trägt - das ist zurzeit die weltweite kosmopolitische Prägung. Ihm zur Seite ist mit dem Denkgeist zu rechnen, auch als Arche, aber auch stärker als der Zeitgeist wirkend, weil einmal zurückgeblieben. Unfrei lassend bestimmt dieser eine Denkweise nach den materialistischen Gegebenheiten und nach allerlei Gruppenmustern, wie die Nationalismen, und wirkt dezidiert gegen den Zeitgeist.
So ist der geistige Hintergrund unser menschliches Beisammensein gebildet. Nun gilt es, die Wirkungen zu durch-schauen. Schon bei der Unterscheidung zwischen Sprach-und Volksgeist beginnt das Problem, weil diese in ständiger Konkurrenz sind. Beide sind Erzengel, aber wie erkennen wir den Volksgeist? Anders als die Menschen unserer Nachbarlander haben wir Schweizer in dieser Hinsicht einen Vorteil. Als Romand vermag ich zu unterscheiden, was mich mit Frankreich durch die Sprache, aber auch deutlich, was mich mit der Schweiz verbindet - nicht einfach, wenn Land und Sprache übereinstimmen. Ähnlich und gleichermassen wichtig ist es, zu erkennen, was dem Zeitgeist und was dem Denkgeist entspricht, was zur Qualität unserer Zeit gehört, Menschen fördernd, und was dagegen sich ausbreitet, Menschen bedrängend.
Wenn uns nun beim Blick in die heutige Welt die Orientierung zu verlassen droht, so sollten wir den eigenen Horizont so erweitern, dass wir unseren Volkgeist - dies in allen Ländern der Welt - in die Gleichung einbeziehen. Denn aden Friedenssphären seines Wirkens vermag er neue Wege zu schaffen, wo wir die Orientierung verlieren. Damit er dies tun kann, braucht er jedoch unsere Hilfe, die Hilfe eines jeden einzelnen Menschen!
Das können wir aus dem Spruch, den Rudolf Steiner in den ersten Tagen nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges, am 16. August 1914, gegeben hat: Du, meines Erdenraumes Geist - so wird unser Erzengel, unser Volksgeist angesprochen.
Enthülle deines Alters Licht - anders gesagt, zeige mir dein wahres Wesen, damit ich dich nicht mit einem anderen Geist, der in der Gemeinschaft wirkt, verwechsle.
Der Christ-begabten Seele. - Christ-begabt? Was ist gemeint?
Sicher nichts, was mit der Religion zu tun hat. Es geht um eine Haltung, die in jedem Menschen heute wachsen kann: bereit sein zu verantworten, also die vollen Konsequenzen des eigenen Tuns tragen zu wollen. Es bedeutet, eine Beziehung zu schaffen mit dem Auferstehungsleib.
Der Spruch erscheint also vorerst als eine Bitte, an die geistige Welt gerichtet, eine Bitte, die sich an den Geist wendet, der auf Erden mein Zusammenleben mit den anderen Menschenseelen begleitet. Durch diese Bitte wird aber die Seele aufgefordert, die Geister, von denen sie in Gemeinschaften auf Erden begleitet wird, aufzusuchen und zu unterscheiden.
Eine schwierige Aufgabe, die sich aber wirklich lohnt, weil:
Dass strebend sie finden kann - die Christ-begabte Seele ist, im Verantwortenwollen der Konsequenzen ihres Wirkens, auch eine strebende.
Im Chor der Friedenssphären - wo befindet sich der Volks-geist? Der Volksgeist ist in den Friedens-sphären mit all den anderen Volksgeistern zu finden. Kriege entstehen nicht aus der Wirkung der Volksgeister, sondern immer ausserhalb.
Dich tönend von Lob und Macht - indem die Seele ernsthaft strebt, so findet sie auch ihr Volksgeist. Er ist da und tönt. Woher?
Des Christ-ergebenen Menschensinns.-Aus Lob und Macht, die aus dem erwachten Menschensinn strahlen. Denn seit dem Mysterium von Golgatha, ist Christus nicht mehr in den Himmel, sondern auf der Erde mit den Men-schen. Dadurch sind die Geister von uns Menschen abhängig geworden, um Christus zu erleben. Wird dieser Vorgang, der bei uns beginnt, möglich, so können Wunder passieren! Wir können unseren Volksgeist befähigen! Und befähigt, wird er auch den Weg im Chor der Friedensphären finden - und wir die Orientierung, als Echo aus der anderen Seite der Schwelle.
Wer sonst, wenn nicht wir, können hier in der heutigen Zeit tätig werden!
«Du, meines Erdenraumes Geist»
Geist-Verstehen und Schicksals-Erleben
Das Verständnis des anthroposophischen Erkennens kann gefördert werden, wenn die menschliche Seele immer wieder auf das Verhältnis von Mensch und Welt hingelenkt wird.
Richtet der Mensch die Aufmerksamkeit auf die Welt, in die er hineingeboren wird und aus der er herausstirbt, so hat er zunächst die Fülle seiner Sinneseindrücke um sich. Er macht sich Gedanken über diese Sinnes-Eindrücke.
Indem er dieses sich zum Bewußtsein bringt: «Ich mache mir Gedanken über das, was mir meine Sinne als Welt offen-baren», kann er schon mit der Selbstbetrachtung einsetzen. Er kann sich sagen: in meinen Gedanken lebe «Ich». Die Welt gibt mir Veranlassung, in Gedanken mich zu erleben. Ich finde mich in meinen Gedanken, indem ich die Welt betrachte.
So fortfahrend im Nachsinnen verliert der Mensch die Welt aus dem Bewußtsein; und das Ich tritt in dieses ein. Er hört auf, die Welt vorzustellen; er fängt an, das Selbst zu erleben.
Wird umgekehrt die Aufmerksamkeit auf das Innere ge-richtet, in dem die Welt sich spiegelt, so tauchen im Bewußtsein die Lebensschicksalsereignisse auf, in denen das menschliche Selbst von dem Zeitpunkte an, bis zu dem man sich zurück-erinnert, dahingeflossen ist. Man erlebt das eigene Dasein in der Folge dieser Schicksals-Erlebnisse.
Indem man sich dieses zum Bewußtsein bringt: «Ich habe mit meinem Selbst ein Schicksal erlebt», kann man mit der Weltbetrachtung einsetzen. Man kann sich sagen: In meinem Schicksal war ich nicht allein; da hat die Welt in mein Erleben eingegriffen. Ich habe dieses oder jenes gewollt; in mein Wollen ist die Welt hereingeflutet. Ich finde die Welt in meinem Wollen, indem ich dieses Wollen selbstbetrachtend erlebe.
So fortfahrend, sich in das eigene Selbst einlebend, verliert der Mensch das Selbst aus dem Bewußtsein; die Welt tritt in dieses ein. Er hört auf, das Selbst zu erleben; er fängt an, die Welt im Erfühlen gewahr zu werden.
Ich denke hinaus in die Welt; da finde ich mich; ich versenke mich in mich selbst, da finde ich die Welt. Wenn der Mensch dieses stark genug empfindet, steht er in den Welt- und Men-schenrätseln drinnen.
Denn fühlen: man müht sich im Denken ab, um die Welt zu ergreifen, und man steckt in diesem Denken doch nur selbst darinnen, das gibt das erste Welträtsel auf.
Vom Schicksal in seinem Selbst sich geformt fühlen und in diesem Formen das Fluten des Weltgeschehens empfinden; das drängt zum zweiten Welträtsel hin.
In dem Erleben dieses Welt- und Menschenrätsels erkeimt die Seelenverfassung, in der der Mensch der Anthroposophie so begegnen kann, daß er in seinem Innern von ihr einen Eindruck erhält, der seine Aufmerksamkeit erregt.
Denn Anthroposophie macht nun dieses geltend: Es gibt ein geistiges Erleben, das nicht im Denken die Welt verliert.
Man kann auch im Denken noch leben. Sie gibt im Meditieren ein inneres Erleben an, in dem man nicht denkend die Sinnes-welt verliert, sondern die Geistwelt gewinnt. Statt in das Ich einzudringen, in dem man die Sinnen-Welt versinken fühlt, dringt man in die Geist-Welt ein, in der man das Ich erfestigt fühlt.
Anthroposophie zeigt im weiteren: Es gibt ein Erleben des Schicksals, in dem man nicht das Selbst verliert. Man kann auch im Schicksal noch sich selbst als wirksam erleben. Sie gibt in dem unegoistischen Betrachten des Menschenschicksals ein Erleben an, in dem man nicht nur das eigene Dasein, sondern die Welt lieben lernt. Statt in die Welt hineinzustarren, die in Glück und Unglück das Ich auf ihren Wellen trägt, findet man das Ich, das wollend das eigene Schicksal gestaltet. Statt an die Welt zu stoßen, an der das Ich zerschellt, dringt man in das Selbst ein, das sich mit dem Weltgeschehen verbunden fühlt.
Das Schicksal des Menschen wird ihm von der Welt bereitet, die ihm seine Sinne offenbaren. Findet er die eigene Wirksamkeit in dem Schicksalswalten, so steigt ihm sein Selbst wesenhaft nicht nur aus dem eigenen Innern, sondern es steigt ihm aus der Sinneswelt auf.
Kann man auch nur leise empfinden, wie im Selbst die Welt als Geistiges erscheint und wie in der Sinneswelt das Selbst sich als wirksam erweist, so ist man schon im sicheren Verstehen der Anthroposophie darinnen.
Denn man wird dann einen Sinn dafür entwickeln, daß in der Anthroposophie die Geist-Welt beschrieben werden darf, die vom Selbst erfaßt wird. Und dieser Sinn wird auch Verständnis dafür entwickeln, daß in der Sinneswelt das Selbst auch noch anders als durch Versenken in das Innere gefunden werden kann. Anthroposophie findet das Selbst, indem sie zeigt, wie aus der Sinneswelt für den Menschen nicht nur sinnliche Wahrnehmungen sich offenbaren, sondern auch die Nachwirkungen aus seinem vorirdischen Dasein und aus den vorigen Erdenleben.
Der Mensch kann nun in die Welt der Sinne hinausblicken und sagen: da ist ja nicht nur Farbe, Ton, Wärme; da wirken auch die Erlebnisse der Seelen, die diese Seelen vor ihrem gegenwärtigen Erdendasein durchgemacht haben. Und er kann in sich hineinblicken und sagen: da ist nicht nur mein Ich, da offenbart sich eine geistige Welt.
In einem solchen Verständnisse kann der von den Welt- und Menschenrätseln berührte Mensch sich mit dem Eingeweihten zusammenfinden, der, nach seinen Einsichten, von der äußeren Sinneswelt so reden muß, als ob aus derselben nicht nur sinnliche Wahrnehmungen sich kundgäben, sondern die Eindrücke von dem, was Menschenseelen im vorirdischen Dasein und in verflossenen Erdenleben gewirkt haben; und der von der inneren Selbst-Welt aussagen muß, daß sie Geistzusammenhängeoffenbart, so eindrucks- und wirkungsvoll, wie die Wahrnehmungen der Sinneswelt sind.
Bewußt sollten sich die tätig sein wollenden Mitglieder zu Vermittlern dessen machen, was die fragende Menschenseele als Welt- und Menschenrätsel fühlt, mit dem, was die Ein-geweihten-Erkenntnis zu sagen hat, wenn sie aus Menschen-Schicksalen eine vergangene Welt heraufholt, und wenn sie aus seelischer Erkraftung die Wahrnehmung einer Geist-Welt erschließt.
So kann im Arbeiten der tätig sein wollenden Mitglieder die Anthroposophische Gesellschaft zu einer echten Vorschule der Eingeweihten-Schule werden. Auf dieses wollte die Weih-nachtstagung kräftig hinweisen; und wer diese Tagung richtig versteht, wird mit diesem Hinweisen fortfahren, bis ein genügendes Verständnis dafür der Gesellschaft wieder neue Aufgaben bringen kann.
Emotionale Bedürftigkeit und die Liebe des Herzens
Das Herz erbarmt sich aller Bedürfnisse, der großen wie der kleinen. Trost zu spenden, Liebe zu geben und zu verstehen ist seine Natur. Du mußt es ihm nur erlauben!
Wenn du deinem Herzen nicht erlaubst, sich um deine emotionalen Bedürfnisse zu kümmern - beispielsweise wenn du sie verurteilst oder für nicht der Rede wert hältst -, dann suchen sie ein anderes Herz, das sich ihrer erbarmt. Dann trägst du dein Bedürfnis nach Liebe, Trost und Verständnis zu anderen Menschen, in der Hoffnung, daß sie sich seiner annehmen. Da du dich deiner Bedürftigkeit schämst, verkleidest du sie als Liebe, als Zärtlichkeit, Mitgefühl oder als Anteilnahme am Geschick des anderen. Dieser aber spürt dein Bedürfnis, er fühlt den Hunger unter deinen Gesten oder Worten der Zuwendung, und er antwortet auf ihn entsprechend seiner psychischen Verfassung. Ist er zufrieden und in Geberlaune, so gibt er dir, was du brauchst, oder versucht es jedenfalls; ist er gerade selber emotional hungrig, erschöpft, schlecht gelaunt oder mag dich nicht, so wird er mit Abwehr reagieren. Je weniger dir dieser Vorgang bewußt ist, desto größer ist dein Schmerz, wenn du in verdeckter oder offener Weise zurückgewiesen wirst.
Erlaubst du jedoch deinem Herzen, sich um deine emotionalen Bedürfnisse zu kümmern, dann erhältst du alles, was du brauchst, und alles zur richtigen Zeit. Das Herz stillt jeden Mangel. Sobald du ein Bedürfnis nach Liebe, Trost und Verständnis in dir auftauchen fühlst, wende dich an dein Herz und bitte es, sich darum zu kümmern. Wende dich dann mit ganzer Aufmerksamkeit dir selber zu, sei ganz eins mit dir, mit deinem Körper, deinem Atem, deinen Gefühlen, während du mit deinem Herzen in Fühlung bleibst. Überlasse dem Herzen dann alles weitere. Das ist der Weg zur Erfüllung. Auch hier geht es um Achtung und Achtsamkeit. Du mußt deine Bedürfnisse achten; zu sehr achten, als daß du sie der Laune und Willkür eines anderen auslieferst. Achte dich selbst! Achte dich so sehr, daß du dich mit größter Sorgfalt um dich kümmerst! Und achte deinen Partner, deine Mitmenschen, deine Freunde und Verwandten! Achte sie so sehr, daß du sie mit der Last deiner emotionalen Bedürfnisse verschonst und sie nicht in Situationen hineinzwingst, in denen sie gar nicht anders können, als sich entweder zu verstellen oder ins Unrecht zu setzen! Noch einmal in Großschrift:
ACHTE DICH SELBST
so sehr, daß du dich um deine Bedürfnisse kümmerst,
anstatt sie der Laune und Willkür anderer
auszusetzen, und
ACHTE DEINE MITMENSCHEN
so sehr, dass du sie mit der Last deiner emotionalen Bedürfnisse verschonst und ihnen die Freiheit gewährst, sie selbst zu sein.
Das ist für manche eine harte Lektion; vielleicht die härteste, die sie zu lernen haben. Für diejenigen, die besonders mit diesem Kapitel Probleme haben, steht am Anfang dieser Lektion das Gebot
KÜMMERE DICH UM DEINE BEDÜRFNISSE!
ACHTE SIE!
Wirst du nicht deinem Hund Wasser zu trinken geben, wenn er durstig ist?
Genau das denkst du vielleicht auch und fragst dich, warum nicht dein Partner, der dich doch angeblich liebt, dir die Zuwendung gibt, nach der du verlangst. Er wird das tun oder auch nicht, je nach seinem momentanen Vermögen. Ein Mensch ist kein unerschöpflicher Quell der Liebe. Mal sprudelt und fließt die Liebe in ihm und mal nicht. Willst du davon abhängig sein?
Du wünschst Befreiung? Befreien kannst du dich nur selbst, und zwar durch Bereitschaft zur Befreiung. Bist du bereit? Dann gib dir jetzt, an dieser Stelle, ein Versprechen:
Sobald ein emotionales Bedürfnis in dir auftaucht, wirst du dich deinem Herzen zuwenden und diesem Bedürfnis erlauben, in dein Herz aufgenommen zu werden. Schenke ihm all deine Aufmerksamkeit, Achtung und Zuwendung, bevor du die Aufmerksamkeit anderer forderst! Hier nämlich liegt das Problem: Du selbst verweigerst deinem Bedürfnis die Aufmerksamkeit, die es braucht; bevor sich deine Aufmerksamkeit noch einschalten kann, wendest du dich schon an deinen Partner und verlangst von ihm, daß er dein Bedürfnis erfüllt. Da das ganze aber mehr oder weniger unbewußt vor sich geht, findet dein Verlangen keinen klaren Ausdruck, und dein Partner hat nicht die Möglichkeit, in klarer Weise darauf einzugehen; es sei denn, er ist ein achtsamer Mensch mit einem offenen Herzen und nimmt wahr, was in deinem Innern vor sich geht.
Zuerst also kümmere dich selbst um deine emotionalen Bedürfnisse, indem du ihrer gewahr wirst, sobald sie auftauchen, und sie bewußt empfindest. Nimm sie in dein Herz auf und bitte dein Herz - besser gesagt, bitte das Herz aller Herzen, bitte Gott - um Erfüllung dieser Bedürfnisse. Dieser kleine innere Vorgang kann in Sekundenschnelle geschehen, wenn du dich ernsthaft und entschieden um dich kümmerst. Andere brauchen es nicht wahrzunehmen.
An der ersten Stelle dieser Lektion steht also ein Verzicht: der Verzicht darauf, andere Menschen verantwortlich zu machen für dein Wohlergehen. Das bedeutet nicht, daß du ein für allemal darauf verzichten mußt, von anderen Liebe, Zuwendung, Trost oder dergleichen zu erhalten; keine Angst: Das Universum hält genug davon für dich bereit.
Der Verzicht bezieht sich vielmehr auf das Verlangen und auf die Erwartung. Erwarte und verlange dein Heil grundsätzlich nicht von anderen. Unterdrücke und verleugne dein Verlangen nicht; im Gegenteil: Widme ihm Aufmerksamkeit; empfinde es mit ganzem Herzen, ganzem Körper, ganzer Seele; sei eins und einverstanden mit ihm; wisse, daß dieses Verlangen das Mittel ist, durch das die göttliche Sehnsucht in dir wirkt und dich formt. Nimm dein Bedürfnis an und dein Verlangen. Sei eins mit ihm. Auch wenn es sich auf eine bestimmte Person und keine andere bezieht: Nimm es als gegeben vom Geliebten selbst.
Ist dein Verlangen nach Nähe und Zuwendung eines bestimmten Menschen sehr mächtig, dann trage es in deinem Herzen und hüte und nähre es. Doch bleibe voller Achtsamkeit in der Gegenwart des betreffenden Menschen; empfinde dein Verlangen mit ganzem Herzen, doch behalte es für dich. Nur in Momenten vollkommener gegenseitiger Offenheit gib es dem anderen preis, um als Gegengeschenk das seine zu empfangen. Niemals aber gib dein Verlangen preis, wenn die Zeit dafür nicht reif ist. Jede Preisgabe im falschen Moment oder der falschen Person gegenüber schwächt dich.
Dein Herz halte weit offen, doch die Geheimnisse deiner Psyche behalte für dich. Wenn du sie hütest und nur mit dem Geliebten teilst, sind sie ein heiliger Schatz, aus dem dir Liebe und die Glückseligkeit innerer Erfüllung wachsen. Gibst du sie aber Menschen preis, werden sie mißverstanden, mißachtet und entweiht.
Du mußt dich achten, wie du eine Königin achten würdest, die in deine Obhut gegeben ist. Wirst du sie der Willkür und dem Gelächter der Menschen aussetzen? Du mußt deiner Königin Diener und Beschützer sein; du mußt sie umhätscheln und versorgen und zugleich mit größter Ehrfurcht behandeln. Die Königin ist deine Seele; ihr irdisches Abbild ist deine Psyche. Deine Psyche ist sozusagen der Leib deiner Königin.
Es ist an dir, die Wunden, die dieser kostbare Leib erlitten hat, zu reinigen und zu pflegen. Es ist an dir, ihn vor weiteren Verwundungen zu schützen. Beleidigter Rückzug nach erfolgter Kränkung ist allerdings kein Schutz. Der Schutz besteht in Achtsamkeit; darin, wach zu sein und deine Bedürfnisse, sobald sie auftauchen, bewußt zur Kenntnis zu nehmen und dich sofort um sie zu kümmern. Übe das mit den Bedürfnissen deines Körpers, deines inneren Kindes, deiner Psyche. Wenn du unbequem sitzt, kümmere dich sofort darum, bequemer zu sitzen. Wenn du Durst hast, trinke sofort etwas. Wenn die Gesellschaft dir zu laut ist, ziehe dich sofort zurück. Wenn du das Bedürfnis nach Zuwendung verspürst, wende dich dir sofort zu. Schiebe nichts auf. Übe dich darin, schnell zu sein. Wenn dein Baby schreit, wie lange wirst du warten, bis du dich um es kümmerst?
Deine Bedürfnisse sind heilig. Ihre Erfüllung ist ein heiliger Akt. Denk nur an den Säugling, der Hunger hat, und an die heilige Stille des Stillens; was könnte heiliger sein? Ebenso verhält es sich mit all deinen Bedürfnissen.
Das Essen ist ein heiliger Akt, ebenso das Trinken; ebenso die sexuelle Vereinigung. Das gleiche gilt für deine emotionalen Bedürfnisse. Sie sind heilig. Deshalb mußt du sie achten und schützen und ehren. Bringe sie nur dann zu einem anderen Menschen, wenn du ihnen Aufmerksamkeit gewidmet hast und dir dein Herz sagt, daß es der richtige Mensch und der richtige Augenblick ist. Ist das nicht der Fall, so beschränke dich darauf, deine Bedürfnisse deinem eigenen Herzen zu überantworten und um Erfüllung zu bitten. Auf welche Weise, wann und durch wen die Erfüllung sich einstellt und ob von innen oder von außen, das überlasse vertrauensvoll dem göttlichen Liebhaber!
Wisse dich immer geliebt, auch wenn niemand da ist, der dich streichelt. Streichelt dich nicht dein Atem? Streichelt dich nicht der Wind? Wohnt nicht der Geliebte in deinem Herzen? Gibt es irgendeine Wonne, die zu vergleichen wäre mit einer Begegnung mit ihm? Gibt es irgendeinen Zauber, der größer wäre als der Zauber des Lebens in jedem Moment? Fühlst du das Blut in deinen Adern kreisen? Ist das nicht Liebe? Ist das nicht Zauber? Ist das nicht Wunder? Fühlst du deinen Atem? Fühlst du den Wind? Fühlst du dein eigenes Leben? Fühlst du das Leben um dich? Spürst du es? Es ist Liebe! Es ist ER! Es ist SEINE Gegenwart! Und ebenso ist Seine Gegenwart in deiner Sehnsucht, in jedem echten Bedürfnis, das du verspürst. Es ist SEIN Verlangen, SEINE Sehnsucht. Du hast teil an Seiner Sehnsucht auf deine Weise; und ebenso teil an der heiligen Kommunion der Erfüllung.
So heilig ist sie, die Erfüllung, daß sie verborgen werden muß wie ein kostbares Geheimnis. Erlebst du sie zu zweit, in den Armen deines Liebsten oder in einem Austausch von Blicken oder Worten, dann empfange die Verzückung in deinem Herzen wie das heilige Brot des Abendmahls und breite den Schleier der Andacht und des Schweigens darüber. Sprich weder mit deinem Liebsten darüber noch mit anderen Menschen; noch nicht einmal mit dir selbst.
Findest du keine Erfüllung in einer Begegnung, dann hast du nicht auf dein Herz geachtet. Erfüllung muß nicht daraus resultieren, daß du das erhältst, was du dir vorgestellt hast; Erfüllung kommt aus der Kommunion, der Vereinigung, der tiefen Begegnung. Begegnung kann auch mit Worten einhergehen, die dir Schmerz verursachen; wenn es Worte der Wahrheit sind und aus tiefstem Herzen gesprochen, so können sie dir, wenn du dein Herz zu öffnen vermagst, Erfüllung geben.
Wenn der König, der in deine Obhut gegeben ist, durstig ist, so wirst du ihm nur das Beste zu trinken geben, nicht wahr? Wenn er Hunger hat, so wirst du ihm nicht irgend etwas vorsetzen; du wirst die Köche, die seine Nahrung zubereiten, mit Sorgfalt auswählen. Genauso sollst du umgehen mit dir selbst. Achtung und Sorgfalt sollst du dir angedeihen lassen. Es ist der König der Könige, den du in dir ehrst. Er hat deinen Körper, deinen Geist, deine Psyche zu seinem Palast erkoren; ist das nicht Grund genug, dich zu achten und zu ehren? Der König der Könige ist die Seele deiner Seele, das Herz deines Herzens, das Ich deines Ichs, das Wesen deines Wesens. Wenn du dich selber nicht achtest, verachtest du Ihn. Dich unwürdig zu fühlen, dein Ich zu verachten, ist falsch verstandene Religiosität. Das bringt dich Gott nicht näher; es entfernt dich von ihm. Denkst du mit ihm und fühlst du mit ihm, so bist du ihm nah; und er, der die Liebe selbst ist, er, der dich schuf aus Liebe und dein Wachstum und Gedeihen, dein Glück und deine höchste Erfüllung ersehnt, er, der in jedem deiner Atemzüge anwesend ist - er sollte dich geringschätzen? Dich unwürdig finden? Dich verachten? Fühlst du, wie sehr ein solches Denken, eine solche Selbstverachtung und -erniedrigung dich von ihm entfernt? Fühlst du den Geliebten in dir trauern, wenn du dieses kostbare Geschenk verachtest - deinen Leib, deinen Geist, deine Psyche? Ein Juwel auf seiner Stirn, eine Blume in seinem Garten, eine Freude in seinem Herzen, eine Erfüllung seiner Sehnsucht sollst du sein. Dazu bist du geschaffen. Eine Königin zu sein, ein König! Nicht ein Bettler.
Wenn ein Mensch seine emotionalen Bedürfnisse an dich heranträgt, damit du sie erfüllst - ob sein Verlangen nun offen geäußert oder verdeckt an dich herantritt -, so achte auf dein Herz. Gib ihm oder gib ihm nicht, was er verlangt, je nachdem, was dein Herz befiehlt.
Hörst du nicht auf dein Herz, so reagierst du auf die verdeckten oder offen geäußerten Forderungen deines Partners oder sonstiger Mitmenschen entsprechend deiner psychischen Verfassung. So kann eine Kette von Reaktionen sich entfalten, die jeden Beteiligten in seinen vorgefaßten Ansichten und seinem Verhaltens- und Gefühlsmuster bestärkt. Hörst du jedoch auf dein Herz, so gibst du der Wahrheit Raum; kein Muster, keine Gewohnheit, kein Vorgefaßtes kann dich beherrschen, wenn die Wahrheit sich äußert. Das Herz weiß immer, was in Wahrheit gebraucht wird; Wärme oder Kälte, Zustimmung oder Ablehnung, Weichheit oder Härte. Die Stimme des Herzens ist die Stimme der Wahrheit. Wenn du dich in einer Situation befindest, in der du verwirrt bist und nicht in der Lage, festzustellen, was dein Herz sagt, so frage dich: Was ist die Wahrheit in dieser Situation?
Die Stimme der Wahrheit ist die Stimme der Liebe; es ist jedoch nicht die Liebe, die du als süße oder freundliche Emotion empfindest; nicht deine persönliche Empfindung ist gemeint, sondern die Liebe, die alles bewegt, die allem zugrundeliegende Liebe Gottes. Sie ist es, die durch dich handelt, wenn du gemäß deiner Wahrheit lebst und handelst.
Verwechsele sie nicht mit deiner persönlichen Emotion ›Liebe‹! Verwechsele sie auch nicht mit Freundlichkeit, Herzlichkeit und der grundsätzlichen Bereitschaft, die Wünsche anderer zu erfüllen! Die Liebe Gottes ist zu groß, als daß du sie erfassen könntest; sie ist die Wahrheit, die allem, was ist, zugrunde liegt. Im Zorn kann sie sich ebenso äußern wie in der Zärtlichkeit, im Ja ebenso wie im Nein.
Handle nur entsprechend deiner eigenen inneren Natur und mache dir keine Sorgen darüber, ob dein Handeln Liebe ausdrückt oder nicht. Lebst du Wahrheit, sprichst du Wahrheit und handelst du entsprechend der Wahrheit deines Herzens, so ist alles, was du tust, Ausdruck und Mittel der Liebe. Gemeint ist hier die Wahrheit deines Herzens und nicht deine psychologische Programmierung. Tritt dein Partner an dich heran mit dem Bedürfnis nach Zärtlichkeit, und du reagierst darauf mit heftiger Abwehr, dann ist die Abwehr nicht die Wahrheit deines Herzens, sondern die Reaktion deiner Psyche gemäß ihrer Prägung.
Wende dich an dein Herz, wenn dein Partner mit seinem Bedürfnis an dich herantritt. Steckst du schon mitten in deiner Reaktion, so nimm dich zuerst der in dir ausgelösten Gefühle an; nimm sie wahr und schließe sie ins Herz. Dann öffne dein Herz deinem Partner. Nimm das, was ihn bewegt, mit dem Herzen wahr, und handle, wie dein Herz es dir eingibt.
Das heißt, die Situation dem Herzen überantworten.
Safi Nidiaye "Die Stimme des Herzens", Köln, 2000
Sagen Sie immer die Wahrheit
Der geheime Rat und seine Absichten
Im 3. Bild gibt es eine Schlüsselszene, in der der Geheime Rat über seine Ziele und Absichten berät. Es heisst da, gesprochen von dem Grossmeister des Ordens Del Val: «Unser Orden hat in seiner vieltausendjährigen Geschichte oft eingreifen mussen, um zu verhindern, dass die Menschheit verführt wurde durch Lehren und Bewegungen, die ihr hätten gefährlich werden können. Wenn eine Gefahr sich zeigte, hat unser Orden sie zuerst überwacht und dann eingegriffen.
Manchmal genügte das Verschweigen oder das Lächerlichmachen. Manchmal mussten unsre Eingriffe radikaler sein. Schwache Seelen mögen das ‹erbarmungslos› genannt haben. In Wirklichkeit war es einfach notwendig. Die Menschheit muss geführt werden von denen, die das tiefere Wissen über ihre Gesetze haben, ein Wissen, das nur wenige besitzen können. Wenn dies Wissen unter die Masse verbreitet würde, wenn die Macht und Autorität den Wenigen entschlüpfte, müsste die Menschheit dem Chaos verfallen.»
Es wird dann rückblickend auf das 20. Jahrhundert von Rudolf Steiner gesprochen, ohne dass der Name genannt wird. Eine erstaunlich klare Würdigung Rudolf Steiners und seiner spirituellen Leistungen, allerdings aus der Perspektive der Gegner: «Eine Gefahr, die unser Orden zu bekämpfen hattr, kam von einem einzigartig begabten Manne. Niemand kannte wie er die Geheimnisse des Himmels und der Erde. Er appellierte weder an Schmerz und Enttäuschung der Massen, noch an Hass und Begeisterung der Wenigen. Er wandte sich an alle und an niemand. Er benahm sich wie ein stiller Gelehrter und war in Wirklichkeit der gewaltigste Revolutionär, den die Geschichte kennt. Er appellierte an das gesunde Wahrheitsempfinden, und dies verwandelte er allmählich so, dass es fähig wurde, die Wahrheiten zu erkennen, die bisher von den Massen mit Glauben entgegengenommen worden waren. Er brachte Ordnung in die Gedanken der Menschen und führte sie in die Sphäre der Objektivität, wo die Gegensätze der persönlichen Gesichtspunkte aufhören, wo aber auch die Autorität aufhört, weil gegenüber der Wahrheit sich alle als gleich empfinden. Er weckte diejenigen moralischen Kräfte, die im Ich des einzelnen entspringen, und er lehrte ganz öffentlich den Weg der Einweihung, ohne dass dabei der Schüler in Abhängigkeit zum Lehrer geriet. Seine Lehre umfasste alle Gebiete des Wissbaren und verwandelte alles. Umgestossen wurde durch ihn die Handhabung aller oftenbaren und verborgenen Gesetze, wodurch wir bis dahin die Menschheit gelenkt hatten.»
Eine eindringliche Charakterisierung des Wesens und Wirkens Rudolf Steiners, von der ‹ schwarzen Seite›, durch die Augen der Gegner von Freiheit und Individualisierung. Da kann Rudolf Steiner nur als der grösste Revolutionär und die grösste Gefahr erscheinen! Sehr interessant und weiter auszuloten erscheint mir die Aussage, dass durch diesen «stillen Gelehrten» und «gewaltigsten Revolutionär» die Handhabung «aller offenbaren und verborgenen Gesetze» umgestossen wurde. Was heisst das, nicht nur für die schwarzen Logen und die Machteliten dieser Welt, sondern überhaupt für den guten Fortschritt der Menschheit?
Dann wird in dem Drama Der Ruf des Montecorvo beschrieben, wie sich die dunkle Gegenseite der Schüler dieses Eingeweihten annahm: Wie diese aus dem öffentlichen Leben verdrängt wurden, die Werke des Eingeweihten beschlagnahmt und verboten wurden, wie seine Schüler als Staatsfeinde verurteilt, ja manche von ihnen ermordet wurden – man denke an Carl Unger, den ersten Märtyrer der anthroposophischen Bewegung, der am 4. januar 1929 von einem Geisteskranken in Nürnberg erschossen wurde.
«Heute kehren sie wieder»
Und dann kommen von dem Grossmeister Del Val die Worte, fiktiv verortet von Paolo Gentilli in der Zukunft: «Heute jedoch kehren sie wieder.» Diese wiederverkörperten Anthroposophen werden dann sehr differenziert beschrieben, wiederum aus der Sicht der schwarzmagischen Logen: «Jedoch die andern, die in Verbindung mit jenem Manne und mit seiner Lehre sich verwandelt hatten, besonders diejenigen, die zur Einweihung gelangt waren, die werden zu ebensovielen Aktionszentren gegen uns. Ihre Anwesenheit wirkt. Für uns wird es um so schwieriger sein, sie zu bekämpfen, als es nicht leicht sein wird, sie zu er-kennen. Da ist keine Organisation. Sie kennen sich selbst nicht einmal untereinander. Es gibt nichts, womit man sie der Polizei kenntlich machen kann.»
Der Hass auf die wiedergekehrten Schüler Rudolf Steiners macht den Grossmeister Del Val zutiefst hellsichtig für das Wesen und Wirken dieser Menschen. Er spricht warnend zu seinen Brüdern:
«Jene Menschen sind imstande, ohne Organisation zusammenzuarbeiten. Sie tretten sich in der Sphäre der Objektivität (...). Daher wird ihr Handeln bei aller Selbständigkeit stets auf das gleiche Ziel gerichtet sein. Es wird nie auseinanderstreben. Wenn sie sich zufällig begegnen, erkennen sie sich leicht durch die Art, wie sie ihre Begriffe bilden. Ausserdem ist in Betracht zu ziehen, dass in den Besten von ihnen noch eine Erinnerung an frühere Leben lebendig sein muss.»
An dieser Stelle muss man voller Hochachtung festhalten, dass Paolo Gentilli im Jahre 1943 nicht nur die Reinkarnation von Schülern Rudolf Steiners mit künstlerischen Mitteln in einem Drama darstellt, sondern dass er sehr präzise sowohl die Intentionen schwarzmagisch wirkender Logen beschreibt, als auch konkret die Metamorphose von reinkarnierten Anthroposophen zum Ausdruck bringen kann. «Sagen Sie immer die Wahrheit», ist dabei ein Schlüsselsatz, wobei man an das Christuswort denken muss: «Sie werden die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird sie frei machen.» Und dann die Äusserung des Grossmeisters: «Ihre Anwesenheit wirkt.» Menschen, die durch die Art ihres Daseins auf andere Menschen weckend und begeisternd wirken. «Sie sind imstande, ohne Organisation zusammenzuarbeiten.» Der lebendige Geist vereint sie, die Sphäre der Objektivität gibt ihnen einen gemeinsamen Grund, und sie erkennen sich an der Art zu denken («wie sie ihre Begriffe bilden»). An dieser Stelle könnte man noch hinzufügen: Sie erkennen sich auch an der Art des Fühlens, ein bewusstes Fühlen gerade im Spirituellen und Künstlerischen. Und die Besten von ihnen werden sich an frühere Erdenleben erinnern können. Später heisst es dann noch über die moralischen Kräfte dieser Menschen: «Das Gefährliche ist, dass das Beispiel dieser Leute ansteckend wirkt. Sie wecken das Gewissen der andern.»
GEGENWART Zeitschrift für Kultur, Politik, Wirtschaft Nr. 4/2024, Der Ruf des Montevorvo – ein Drama von Paolo Gentilli und die Michael-Prophetie Rudolf Steiners, von Steffen Hartmann, S.34f
Vertrauen in Regierung sinkt
NZZ, Montag, 25. November 2024, S.1
[...] Und auch bei der Abstimmung am Sonntag zeigten sich die Bruchstellen: Die Mitte zerfiel erneut in zwei Hälften, und bei der SVP müssen zwischen 30 und 40 Prozent der Basis gegen die Gesundheitsreform und gegen den Autobahnausbau gestimmt haben. In der Schweiz ist offensichtlich das eingetreten, was man in anderen europäischen Ländern oder auch den USA schon seit längerem beobachten kann.
Immer mehr Menschen haben Angst, zu Verlierern der Globalisierung zu werden. Sie sorgen sich um ihre Arbeit, ihre Rente und ihre Wohnsituation. Das spiegelt sich auch in der jüngsten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Sotomo zu den Sparplänen des Bundes: Sogar die SVP würde eher bei der Armee sparen als bei der AHV.
Vertrauen in Regierung sinkt
In der Schweiz ist das Vertrauen in den Bundesrat und die politischen Behörden traditionell hoch. Doch es nimmt ab. Im März 2022 sagten laut GfS Bern 67 Prozent der Befragten, sie könnten sich auf die Regierung verlassen. Heute sind es noch 42 Prozent. Mit diesem Trend ist die Schweiz allerdings nicht alleine. Er zeigt sich weltweit in allen Industrieländern. Wo in diesem Jahr gewählt wurde, haben die Regierungsparteien verloren. Ausnahmslos. Die Entwicklung hat mit den Nachwehen der Pandemie zu tun, vor allem aber mit der Inflation und der Angst vor Krieg.
Und noch eine weitere globale Tendenz spiegelt sich im Abstimmungsresultat von Sonntag: der Halbe-halbe-Trend.Weltweit kommt es immer häufiger zu Pattsituationen. Bereits die Abstimmung über den Brexit wurde mit 51,9 Prozent Ja-Stimmen entschieden, danach häuften sich solche knappen Resultate. «Das Volk» gibt es kaum mehr. An der Urne treffen immer häufiger zwei Volkshälften aufeinander. Ausnahmen bilden oft Vorlagen, bei denen es um das Eigeninteresse geht: Die 13. AHV-Rente kam im März auf 58,2 Prozent Zustimmung, die BVG-Reform wurde im September mit 67,1 Nein abgelehnt.
Goethe in unserer Zeit
GOETHE IN UNSERER ZEIT
Rudolf Steiners Goetheanismus
als Forschungsmethode
Herausgegeben von der Naturwissenschaftlichen Sektion
am Goetheanum
Dornach
durch
Dr. Guenther Wachsmuth
1949
HYBERNIA-VERLAG DORNACH - BASEL
Vorwort des Herausgebers
In einer Studie über den «Einfluß des Ursprungs wissenschaftlicher Entdeckungen» sagt Goethe: «Was würden wir von dem Architekten sagen, der durch eine Seitentüre in einen Palast gekommen wäre und nun, bei Beschreibung und Darstellung eines solchen Gebäudes, alles auf diese erste untergeordnete Seite beziehen wollte? und doch geschieht dies in den Wissenschaften jeden Tag.»
Goethe erwartete vom forschenden Menschen, daß er die zufällige Seitenpforte, durch die er den Palast des Weltalls betreten hat, nicht zum Hauptportal mache, sondern erst das Ganze betrachte, ehe er in die Beschreibung des Einzelnen geht. Auch wer in diesem Sinne als Architekt, als werdender Baumeister im Reich der Erkenntnis, das Werk Goethes betrachtet, das diesen Palast des Weltalls widerspiegelt, muß Jahrzehnte wandern, um die Ganzheit zu schauen.
Goethe fordert aber vom Menschen nicht nur das Bewundern, Darstellen, Beschreiben, sondern daß der Architekt selbst neue Bauten errichte, die des erlebten Urbildes würdig sind, die das Begonnene weiterführen, Metamorphosen des Keimes, der im Erlebnis solchen Werkes in die Seele gepflanzt wurde. Rudolf Steiner, der zu neuen Erkenntnissen führte, die dem Zeitgeist unserer Epoche gerecht werden, war ein solcher Baumeister. Und er rief Schüler auf, an dem goetheanistischen Werk mitzubauen, aus dem Erlebnis des Ganzen Gewölbe und Säulen, Türen und Fenster, Stufen und Räume individuell zu gestalten, im Geiste des Bauplanes schöpferisch tätig zu sein.
Goethe sagt im Vorwort seiner morphologischen Studien: «Wie wenige fühlen sich von dem begeistert, was eigentlich nur dem Geiste erscheint!» Goethes Geistgestalt lebt heute nicht nur in seinem Werk, das ein Jubeljahr feiern kann, sondern in Menschen, die von seiner ewigen Entelechie begeistert in die Zukunft schreiten und immer neue Schönheiten im Palast des Weltalls entdecken. Jede solche Entdeckung führt im Sinne Goethes zur Erkenntnis, daß Weltall und Erde Lebewesen sind, daß jeder fruchtbare menschliche Gedanke ein Geisteskeim ist, der durch viele Metamorphosen wächst, sich entfaltet, neue Schöpfungen aus sich gebiert. Daß das 20. Jahrhundert nicht nur auf Goethe zurückblicken kann, sondern mit ihm in die Zukunft schreitet, daß uns der Goetheanismus und das Werk Rudolf Steiners die Möglichkeit geben, die Welt täglich neu sehen zu lernen und in die Planung des Ganzen einzudringen, dafür sei 200 Jahre nach Goethes Geburt Zeugnis abgelegt, indem der Versuch gewagt wird, nach seiner Forschungsmethode einige der unerschöpflichen Aspekte darzustellen, die sich dem Wandernden im Palast der Schöpfung auftun.
Goethes Werk ist Werden und Zukunft. Im folgenden stehen neben Grundskizzen der Architektonik des Ganzen auch Erlebnisberichte der Wandernden. Bei der Fülle der Beiträge, die heute schon möglich wären, mußte eine Auswahl getroffen werden, die durch die räumliche Begrenzung eines solchen Jahrbuches gegeben ist. Für die Mithilfe bei den Vorarbeiten bin ich Herrn Dr. Hermann Poppelbaum, Herrn Joachim Schultz und Herrn E. Estermann dankbar. Den Autoren danke ich im Namen des Goetheanums für ihre Mitarbeit. Weitere Publikationen sind auch für die folgenden Jahre vorgesehen.
Möge der im Geiste ewig lebende Goethe die forschende Menschheit durch die kommenden Jahrhunderte begleiten.
Für die Naturwissenschaftliche Sektion am Goetheanum:
Dr. Guenther Wachsmuth
Jugend, Digitales und psychedelische Drogen
Ein junger Mensch wünscht sich, jemand hätte ihm die schlechte Nachricht überbracht: Die Zivilisation hat ihren Preis. Das ist endlich die Wahrheit, aber gleichzeitig auch schrecklich, ja unerträglich. Zum Glück gibt es einen Ausweg: Die Oase, die nicht durch irdische Realitäten beschränkt ist. Es ist die digitale Technologie mit ihren virtuellen Welten.
Bezüglich der gemeinsamen Welt des Planeten gibt es ein Gefühl der Verengung und der Dringlichkeit. Aber die äußere Welt wird als entgeistert oder geistlos empfunden.
Konträr dazu ist die Beziehung zur digitalen Technologie. Sie ist mit großer Hoffnung und Optimismus, aber auch mit Zerstreuung und Ablenkung verbunden. Sie befreit vom Druck, ein Geschöpf auf der Erde zu sein, aber gleichzeitig ist sie eine bedrohliche Ablenkung und Versuchung, der Realität zu entkommen.
Wirkung auf den Menschen
Die digitale Technologie hat eine paradoxe Wirkung. Während Kommunikations- und Transaktionsverbindungen beschleunigt werden und unser Bewusstsein durch unzählige Bilder erweitert wird, isoliert Sie uns, in dem sie bestimmte, nicht greifbare Dynamiken unserer Konstitution und unsere Verbindung mit der Welt schwächt.
Wenn wir viel Zeit in einer Pseudo- oder virtuellen Welt verbringen, in der wir kein Verständnis für irdische qualitative Begrenzungen entwickeln, verkümmert unsere Urteilskraft. Wir verlieren das Verständnis des Wertes von natürlichen Ressourcen und Gütern, die Kooperationsfähigkeit in Gruppen und Organisationen, verlernen Diplomatie und Staatskunst und verlieren den Blick für die Verteilung gemeinsamer Ressourcen.
Die digitale Technologie gibt zwar eine Art Verbundenheit, aber gleichzeitig auch die Tendenz zur Isolation. Die Folge: Immer mehr Junge Menschen haben das Gefühl, dass die Interaktion im realen Raum sie überfordert.
Wenn wir digitale Technologie in unser Leben integrieren, führt es zu
einer Abschwächung einer spirituellen Dynamik, die normalerweise ein
unbewusster Teil unserer täglichen Wahrnehmung voneinander und unserer
Umwelt ist. Dieses unbewusste Element ist auch mit unserer Fähigkeit,
verbunden, Gefühle zu haben und Erinnerungen zu entwickeln. Die
schwächende Wirkung auf die subtile und lebendige Dynamik des
menschlichen Wesens wirft ein schattenhaften Schleier über unser
Lebensgefühl, Teil der Welt zu sein, und unser Bewusstsein darüber, dass
unsere Handlungen von Bedeutung sind. Das Leben an sich verliert seine
Bedeutung.
Die Psychotherapeutin Sherry Tuckle hat beobachtet, wie PatientInnen "im Sprechzimmer wie losgelöst von ihrem Körper erscheinen und sich der elementarsten Höflichkeiten kaum bewusst zu sein scheinen. Zielgerichtet und Medien fixiert, schenken diese PatientInnen, ihren Mitmenschen wenig Aufmerksamkeit. In anderen suchen sie, was ihnen nützt. Ein Echo dieser primitiven Welt der Teile. Ihre Abgehobenheit ist nicht aggressiv. Es ist, als ob sie einfach keinen Sinn sehen."
Gegenbewegung:
Demgegenüber steht eine neue, aufkommende Verwendung von psychedelische Substanzen, denn die digitalen Bilder erweitern unsere Welt enorm, aber sie wirken auch austrocknend und isolierend. Die drogeninduzierte Halluzinationen dagegen bergen die Überzeugung, dass man mit einer echten, objektiven Wahrheit in Berührung gekommen ist, die fest mit der Welt und einer tieferen Realität verbunden ist. Es ist, als ob die Bilder ihren Bildcharakter verlieren und zu Erlebnissen werden, die von einer Urenergie erfüllt sind, die absolut überzeugend ist, auch wenn sie vielleicht verblüfft. So entsteht der Eindruck einer kraftvollen und visionären Form der Spiritualität.
Zusammengefasst:
Oberflächlich betrachtet sehen wir, dass eine Seite des dramatischen Szenarios der aufstrebenden Generation in der Möglichkeit einer von der Erde losgelösten Bewusstseinserweiterung durch psychedelische Drogen besteht.
Das wirft die Frage auf: Können wir Wege zur Erweiterung unseres Bewusstseins finden, die unsere Fähigkeit, in unserem alltäglichen Leben auf der Erde, nüchterne Urteile zu fällen, nicht Schwächen oder untergraben.
Die andere Seite dieses Hintergrunds zeigt eine geistlose äußere Welt, die sich auf einem Weg zu immer mehr Streit und Konflikte befindet, in denen der Geist früher oder später verschwindet.
Das wirft die Frage auf: Können wir unser Verständnis der Natur, des Menschen in der Gesellschaft in einer Weise erweitern, die zur Einsicht in die spirituellen Dimension des Menschen und der Welt führt?
Eine Antwort:
Der irdisch-spirituelle, der menschliche Weg zwischen diesen Extremen ist eine Beschreibung der Ziele des Goetheanums und der anthroposophischen Bewegung. Sie ist ein Aufruf, den Geist in der Welt und die Welt in Geist zu entdecken. Hier finden wir neues Leben, Mut und Hoffnung und die Erkenntnis, dass die Entwicklung des Menschen und der Erde miteinander verbunden sind.
Kopiert und angelehnt an den Artikel "Jugend in der Schwebe" von Nathaniel Williams in "Das Goetheanum" Ausgabe 7, 16. Februar 2024.
Anthroposophie kurz & knackig
Anthroposophie - Weisheit vom Menschen
Allgemein:
Was ist der Mensch?
Pädagogik:
Der werdende Mensch als Geistwesen hier auf der Erde
Medizin:
Geist mit Seele und Leib harmonisieren. Aus Krankheiten lernen.
Kunst:
Schöpferisch tätig sein lernen - für alle Lebensbereiche (Das Theorem)
Wissenschaft:
Das Lebendige verstehen wollen (Das Problem)
Architektur:
Formen des Lebendigen nachbauen.
Bewegung:
Sich mit sich selbst verbinden.
Biographie:
Rythmen, Gesetze und Karme versehen und erkennen.
Musik:
Seelenpflege druch Geistkultur
Landwirtschaft:
Als Teil der Natur diese erheben.
Meditation:
Das höhere Selbst einladen und die Seele empfänglich machen.
Gesellschaft:
Lernen zusammen liebevoll tätig zu werden.
Arbeit:
Nur für andere arbeiten.
Technik:
Durch äußere Erleichterung innerlich tätiger werden.
Bildungsveranstaltungen für Erwachsene
"Die Aufgabe von Hochschulen besteht bekanntlich nicht darin, Studierenden, Theorien, Weltbilder und Handlungsmuster in unfrei lassen der Weise überzustülpen."
"Der Lehrer gibt dem Zuhörer etwas, was kein gedrucktes Buch vermitteln kann. Meiner Ansicht nach müssten die Vorlesung in der Hochschule so eingerichtet werden, dass sie aus dem Innern der berufenen Persönlichkeiten heraus das vermitteln, was kein totes Lehrbuch oder kein toter Leitfaden vermitteln kann. Was aber ein solcher zu bieten vermag, das soll nicht Gegenstand der Vorlesung sein."
"Ich halte es für den größten Reiz des Universitätsunterrichts, dass der Zuhörer weiß: er hat es mit Menschen der Wissenschaft zu tun, die sich geben, wie ihre Persönlichkeit und ihre Wissenschaft es von Ihnen verlangen, und ihre Natur nicht in Unterrichtsregeln einschnüren."
"Der junge Mensch, der zur Universität kommt, will vor allen Dingen nicht unter der Schulmeister Frage leiden, die sich etwa der Lehrer stellte: wie muss ich unterrichten, damit ich in methodischer Folge, meine Sache dem Zuhörer am besten entrichtere! Der junge Mensch will erfahren: wie stellt sich der Mann, dem ich zuhöre, die Philosophie vor, welche Gestalt gibt er ihr, ihrer wissenschaftlichen Natur nach?"
Rudolf Steiner in "Steiners Universitätsbegriff" von Ingo Hoppe, Selbstverlag, S. 19f
"Nicht nur durch Schwärmerei und Phantasterei gehen den esoterischen Schulen der Weißen Loge heute viele Schüler verloren. Unter den fähigsten, die verloren gehen, sind gerade die <<klugen Köpfe>>, auf welche die Schulen angewiesen sind, weil sie die Aufgabe haben, die Menschheit zunächst durch denkerische Einsicht an die Schwelle zur Geist-Erkenntnis heranzuführen. Es ist wahr, dass ein großer Teil von potenziellen und tatsächlichen Schülern - und unter diesen, tragischerweise, auch die ursprünglich aussichtsreichsten - aus den ideellen Mitgliedsbüchern der Weißen Loge wieder ausgestrichen werden müssen. Denn derzeit ereignet sich unter dem Einfluß Ahrimans etwas, was geradezu unvorstellbar anmutet: Es wird so manches Mal die Bewußtseinsseelen-Tätigkeit mit der Hochblüte oder sogar der überreifen Frucht der ahrimanischen Denkschulung verwechselt. So sind gegenwärtig die esoterischen Schulen der Weißen Loge sehr, sehr ausgedünnt. Doch nicht nur dünnen sie aus, weil ihnen diejenigen, die von den ahrimanischen Infiltrationen unmittelbar betroffen sind, verloren gehen, sondern weil solche Menschen mit der Virtuosität ihrer Verstandesseelenkräfte großen Eindruck auf ihre esoterischen Mitbrüder machen und infolge dieses Eindrucks auch noch von den wenigen Übriggebliebenen weitere verloren gehen."
Judith von Halle: DAS WORT in den sieben Reichen der Menschwerdung - Eine Rosenkreuz-Meditation, Band IV, Vlg. für Anthroposophie, Dornach 2022, S. 1719
Es brechen sich im Menschen pervertierte Neigungen, sadistische und masochistische Praktiken, ungehindert Bahn. Und sein von Ahriman beeinflusstes Denken wird die Pervertierung seines Fühlens rechtfertigen, indem es - wie zuvor angedeutet - die gesellschaftliche Anerkennung einer Sexualität einfordert und auch erhalten wird, die vom seelischen Empfinden gegenüber dem Anderen, ja erst recht vom Ich-haften Empfinden des Anderen, bewusst abgeschnitten ist. Es wird die Einführung eines verbrieften Grundrechts des modernen Menschen auf persönliche sexuelle Verwirklichung jedweder Art zur gesetzmäßigen Akkreditierung schwarzmagischer Praktiken hinleiten."
Judith von Halle: DAS WORT in den sieben Reichen der Menschwerdung - Eine Rosenkreuz-Meditation, Band IV, Vlg. für Anthroposophie, Dornach 2022, S. 1911
Steiner, Fichte und die Geisteswissenschaft
Text: Gedanken während der Zeit des Krieges (1915), Steiner, Rudolf, (1861-1925), S. 19f
Quelle: https://opacplus.bsb-muenchen.de/title/BV021007989
Handlungspädagogik
"Die Waldorfpädagogik [...] hat aber [...] eigene innere Hemmnisse aufgebaut, bestimmten pädagogisch-menschenkundlichen Ur-Ideen [...] die Treue zu halten.
"Ich will auf der Erde leben. Ich will den Planeten Erde kennenlernen. Ich will zu einer gedeihlichen Entwicklung der Erde beitragen."
"Der junge Mensch findet in seinem Klassenzimmer den optimalen Ort, an der er von den Naturreichen und vom Wirken der Elemente fast völlig abgeschnitten ist."
"Da das heutige Kind [...] während der ersten sieben Lebensjahre von den Naturreichen schon stark abgeschnitten aufwächst, bildet es sich in weitgehender Unverbundenheit mit der Erde [...] zu einer folgendschweren Fremdheit im eigenen Leibe heran."
"Die Folgen der Entfremdung des Menschen von Erde und Leib beeinträchtigen nicht nur ihn selbst, sondern zunehmend den ganzen Erdplaneten."
"Das moderne Urbild einer solchen "vollständigen Umgebung" (Goethe) ist der bäuerlich-landwirtschaftliche Hof – für das kleinere Kind zunächst der Garten."
"Das Nachahmungsgenie des Kindes ermöglicht es ihm, unaufgefordert und ungehindert, ohne Belehrung, in dem Tätigkeitsstrom der dort Arbeitenden "mitzuschwimmen"".
"Für das erste Jahrsiebt ist der Hof deshalb ein besonders geeigneter Lern- und Lebensort; denn hier werden nicht nur Fähigkeiten, hier wird Gesundheit erworben. Vor allem aber wird hier erworben: Verbundenheit mit den Naturwesen."
"Er spielt arbeitend und arbeitet spielend im Willensstrom des arbeitenden Erwachsenen, der das Kind in den Kreis seine Aufmerksamkeit einlässt, seine Tätigkeit für eine Weile verlangsamt, zeigt, beschreibt, erzählt, aber nicht erklärt."
"Arbeite so, wie die Umgebung es erfordert."
"Der Erfolg der Übung hängt ganz und gar von den Fähigkeiten und der Flexibilität der Mitwirkenden ab und von dem Willen und dem Mut, tradierte Gemeinschafts- und Wirtschaftsformen nach den Erfordernissen der sich selbst erziehen wollenden Menschen zu verwandeln."
"Seit langem wird ja in Zweifel gezogen, ob die Schule in der Mittelstufe überhaupt der geeignete Ort für Bildung und Erziehung sei."
"1919 formulierte Steiner: "Heute ist es notwendig, dass die Menschen sich entschließen, in diesen Dingen bis in die Fundamente hinein umzudenken. (11. Mai 1919)"
Quelle: "Teilnehmen bildet – Gedanken zur Heilpädagogik" Text: Peter Guttenhöfer, veröffentllicht in: Schulkreis - Die Zeitschrift der Rudolf Steiner Schulen in der Schweiz, Ausgabe Winter 22.
Freiheit in der Zusammenarbeit im Kollegium – Arbeit an sich selbst
Grundsatz einer neuen, nicht hierarchischen Struktur ist die Freiheit des Lehrerkollegiums – die republikanisch-demokratische Einrichtung des Lehrerkollegiums. Diese historischen Begriffe weisen auf die Eigenverantwortung (republikanisch) und auf die Gleichberechtigung (demokratisch) hin, denn hier in der Schule arbeiten unabhängige Persönlichkeiten selbstverantwortlich in kollegialer Verbundenheit gleichberechtigt zusammen.
Konferenzen sind freie republikanische Unterredungen. Jeder ist darin ein Souverän. Aber eine produktive Zusammenarbeit von Souveränen in Verantwortungs- und Entscheidungsgremien verlangt Befähigungen, die der einzelne zu erwerben hat.
Dazu gehört das Urteilsvermögen, das in einer Realbeziehung zur geistigen Wirklichkeit der Welt gründet; elementar ist das soziale Vertrauen, das nicht nur das Gewordene, sondern das Werdende im anderen Menschen wahrnimmt; es ist bei sich selbst und beim Anderen auf die Bereitschaft zu bauen, der gemeinsamen Zielsetzung selbstlos zu dienen; nicht zuletzt gilt für das kollegiale Miteinander, dass seine Mitglieder die Grundübungen bewusster Selbstbildung aufnehmen, um selbst sozialfähig zu werden.
Zusammenarbeit in der Schule ist nicht auf der Ebene der Diskussion, horizontal zu erreichen, sondern nur vertikal, indem sich die Beteiligten zur Weiterentwicklung ihrer Fähigkeiten aufschwingen, was eine im höchsten Sinne moralisch-geistige Aufgabe ist.
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Traditionellerweise vollzieht sich Führung häufig so, dass Menschen gegen ihren Willen oder ohne ihr Einverständnis zu etwas verpflichtet werden, entweder von Autoritäten oder durch Regeln. Zeitgemäße Führung hingegen richtet sich an das Bewusstsein der Menschen. Das Ziel soll den Menschen führen, nicht der Chef! Die Führungskraft hat die Aufgabe, eine dialogische Verständigung auf Augenhöhe zu führen, und die Mitarbeitenden haben das Recht auf Selbstverpflichtung. Würde ist das Recht auf Selbstverpflichtung im Sinne der Idee, die eigene Verantwortung zu finden und zu tragen.
Die Grundübungen bewusster Selbstbildung
Gedankenkontrolle
Sie besteht darin, daß man wenigstens für kurze Zeiten des Tages nicht alles mögliche durch die Seele irrlichtern läßt, sondern einmal Ruhe in seinem Gedankenlaufe eintreten läßt. Man denkt an einen bestimmten Begriff, stellt diesen Begriff in den Mittelpunkt seines Gedankenlebens und reiht hierauf selbst alle Gedanken logisch so aneinander, daß sie sich an diesen Begriff anlehnen. Und wenn das auch nur eine Minute geschieht, so ist es schon von großer Bedeutung für den Rhythmus des Leibes und der Lebenskräfte.
Initiative des Handelns
Bedenke, wie wenig eigentlich aus der eigenen Initiative hervorgeht! Die meisten Ursachen des Handelns liegen in Familienverhältnissen, in der Erziehung, im Berufe und so weiter. Man zwinge sich zu wenn auch unbedeutenden, aber aus eigener Initiative entsprungenen Handlungen, zu selbst auferlegten Pflichten. Kurze Zeit ist darauf zu verwenden, Handlungen aus der eigenen Initiative hervorgehen zu lassen. Das brauchen durchaus nicht wichtige Dinge zu sein; ganz unbedeutende Handlungen erfüllen denselben Zweck. Wenn sie regelmäßig stattfinden, zum Beispiel täglich zur selben Uhrzeit ohne dass ein Äußeres einen daran erinnert, erhöht sich die Wirkung.
Gelassenheit
Das dritte, um was es sich handelt, ist die Gelassenheit. Man den Zustand des Hin- und Herschwankens zwischen «himmelhoch jauchzend» und «zum Tode betrübt» regulieren. Wer das nicht will, weil er glaubt, daß dadurch seine Ursprünglichkeit im Handeln oder sein künstlerisches Empfinden verlorengehe, der kann eben keine weitere Entwicklung durchmachen. Gelassenheit heißt, Herr sein in der höchsten Lust und im tiefsten Schmerz. Es ist sogar so: Man wird für die Freuden und Leiden in der Welt erst dann richtig empfänglich, wenn man sich nicht mehr im Schmerz und in der Lust verliert, wenn man nicht mehr egoistisch darin aufgeht. Die größten Künstler haben gerade durch diese Gelassenheit am meisten erreicht, weil sie sich dadurch die Seele aufgeschlossen haben für subtile und innere wichtige Dinge.
Unbefangenheit
Das vierte ist, was man als Unbefangenheit bezeichnen kann. Das ist die Eigenschaft, die in allen Dingen das Gute sieht. Sie geht überall auf das Positive in den Dingen los. Als Beispiel können wir am besten eine persische Legende anführen, die sich an Jesus Christus knüpft: Der Jesus Christus sah einmal einen krepierten Hund am Wege liegen. Er blieb stehen und betrachtete das Tier, die Umstehenden aber wandten sich voll Abscheu ab ob solchen Anblicks. Da sagte Jesus Christus: Oh, welch wunderschöne Zähne hat das Tier! - Er sah nicht das Schlechte, das Hässliche, sondern fand selbst an diesem eklen Kadaver noch etwas Schönes, die weißen Zähne. Sind wir in dieser Stimmung, dann suchen wir in allen Dingen die positiven Eigenschaften, das Gute, und wir können es überall finden. Wir sind uns des Hässlichen und Schlechten bewusst, leugnen es nicht. Aber wir wenden uns dem Guten und Schönen zu. Das wirkt in ganz mächtiger Weise positiv auf unseren Leib und unsere Lebenskräfte.
Glaube
Das nächste ist der Glaube – aber nicht im konfessionellem Sinne gedacht, sondern in einem anderen Sinne. Man übe sich darin, sich niemals in seinem Urteil durch seine Vergangenheit die Zukunft bestimmen zu lassen. Es geht darum unter Umständen alles außer acht zu lassen, was man bisher erlebt hat, um jedem neuen Erleben mit neuem Glauben gegenüberstehen zu können. Das muß man bewußt durchführen. Wenn einer zum Beispiel kommt und sagt: Der Turm der Kirche steht schief, er hat sich um 45 Grad geneigt – so würde jeder sagen: Das kann nicht sein. – Der Übende muß sich aber noch ein Hintertürchen offen lassen. Ja, er muß so weit gehen, daß er jedes in der Welt Erfolgende, was ihm entgegentritt, glauben kann, sonst verlegt er sich den Weg zu neuen Erfahrungen. Man muß sich frei machen für neue Erfahrungen; dadurch wird der Mensch in eine Stimmung versetzt, die voller Innbrunst Neues hervorbringen kann.
Inneres Gleichgewicht
Aus den vorhergegangenen Übungen folgt als Eigenschaft das innere Gleichgewicht. Sie bildet sich durch die fünf anderen Eigenschaften nach und nach ganz von selbst heraus.
Wenn der Mensch ernsthaft eine Weiterentwicklung anstrebt, die ihn in ein ausgeglicheneres, von innerer Kraft getragenes Leben bringen soll, womit er sozialfähiger werden wird, ist ihm geraten, streng auf diese sechs Eigenschaften bedacht zu sein. Er muß sein eigenes Leben in die Hand nehmen und langsam fortschreiten im Sinne des Wortes: Steter Tropfen höhlt den Stein. Es empfiehlt sich, für jede Übung einen Monat einzurichten, ohne die vorhergegangenen zu vernachlässigen und dann wieder von vorne zu beginnen.
Unsere Kinder –Autismus verstehen
Hiermit schicke ich euch noch etwas von und zu Iris Johansson, Davis und Digitalisierung. Was Iris über die „Vierte Kommunikationsdimension“ sagt, fand ich so spannend, dass ich es in meine „Blog-Sammlung“ gepackt habe, wo noch ganz viel anderes Spannendes und Kurioses zusammengetragen ist.
https://stirnwelt.blogspot.com/2021/08/von-der-dritten-in-die-vierte.html
https://stirnwelt.blogspot.com/2021/08/von-der-dritten-in-die-vierte_20.html
Das ist das zentrale Buch von Iris:
Eine-andere-Kindheit-Mein-Autismus
Hier wird kurz die Davis Methode vorgestellt und über autistisches Denken gesprochen:
https://www.youtube.com/watch?v=s7H3raDWefQ&ab_channel=DavisLernverband
Noch zwei Bücher:
Das fragile-Gleichgewicht-zwischen-Sein-Nichtsein
Auswirkungen der Digitalisierung
Digitalisierung frisst unser Leben. Und das unserer Kinder.
Hier einige Links für Eltern und Lehrer
https://www.erziehungskunst.de/artikel/digitalisierung/idisorder/
https://www.keimefuerdiezukunft.de/post/sprengstoff-im-gehirn
https://diagnose-funk.org/aktuelles/artikel-archiv/detail?newsid=1289
https://www.klett-cotta.de/autor/Manfred_Spitzer/92187
https://www.youtube.com/watch?v=MRrPbNLhEuQ&ab_channel=RPPInstitut
Welche Störung ist hier aktiv?
Das ist der Sinn der symbolischen Sache, und das Anliegen im Kern auch so einleuchtend wie ehrenwert. Deshalb blockieren Aktivistinnen die Magistralen der Metropolen für den Verkehr, und deshalb nehmen sie die Kunst in den Museen ins Visier. Offensichtlich gehören sie einer Generation an, die sich für ihr Engagement eher »soft targets« sucht. Also nicht den Mineralölkonzern. Sondern das Ölgemälde.
Aus »Macht kaputt, was euch kaputt macht!« ist »Besudelt, was anderen Menschen viel bedeutet!« geworden. Ist das ein Fortschritt?"
[...]
Mit solchen Aktionen gewinnt man keine Sympathien
"Erstens muss für die Klimakrise keine Aufmerksamkeit mehr erregt werden. Wer nicht weiß, was uns bei ungebremstem Weiterwirtschaften auf fossiler Basis blüht, der will es nicht wissen – und den kümmert erst recht nicht Unversehrtheit eines Gemäldes.
Zweitens wird die kulturelle Vergangenheit menschlichen Schaffens nicht deshalb zu einem legitimen Ziel für Tomatensuppe, weil die ökologischen Folgen menschlichen Schaffens die Zukunft gefährden. Nach dieser Logik könnte man, um endlich ein Handeln der »Verantwortlichen« zu erzwingen, ebenso gut mit der Hinrichtung eines niedlichen Kätzchens drohen.
Drittens gewinnt man mit solchen Attacken womöglich Aufmerksamkeit, aber keine Sympathien oder gar Alliierte. Im Gegenteil. Mag sein, dass darin eine existenzielle Dringlichkeit zum Ausdruck kommt. Die schadet aber, wie der Wutausbruch einer Pubertierenden, der guten Sache selbst."
Natur & Menschen in der Schweiz – von Rilke
An Gertrud Ouckama Knoop
Soglio (Bergell, Graubünden), Schweiz,
am 12. September 1919
Meine sehr liebe gnädigste Frau,
der Impuls, Ihnen von auswärts ein paar Worte zu schicken, ist wohl von allem Anfang mit mir herausgereist. Es beschämt mich nur, daß ich ihm so spät nachgebe. Ich rechne: wirklich, gestern waren es drei Monate, daß ich die Grenze überschritten habe, drei Monate, das heißt, der ganze Sommer liegt zwischen damals und heute - wie, wo mag er Ihnen, Lilinka und Wera vergangen sein ? Ich hoffe, Sie waren nicht immerzu in München, - aber ich weiß auch nicht recht, wo gewesen zu sein ich Ihnen wünschen sollte. Meine Erinnerung hat immer Neumond auf München zu; sie scheint viel mehr in andere Vergangenheiten hinein, als in diese jüngste, die so vernutzt hinter mir zurückgeblieben ist, daß ich meine, mich von ihr abkehren zu dürfen. Und auf was zu? Ja, das ist eine unabsehliche Frage.
Stellen Sie sich vor, das "Draußen"-Sein war erst beinah anstrengend. Man konnte es doch nicht mehr so recht, man verbrachte halbe Tage damit (oder wars nur ich?), vor den Parfümerien die Namen Houbigant, Roger und Gallet und Pinaud zu lesen; ja, einen kleinen Augenblick hieß die Freiheit so, - wer hätte das für möglich gehalten? Die Konditoreien machten mir lange nicht so viel Eindruck, ich habe noch bis heute keine Schokolade gekauft, aber Seifen taten mirs an, ich war richtig wehrlos gegen ein solches reinlich überfülltes Schaufenster der Züricher Bahnhofstraße.
Über solche Umwege, mögen sie auch noch so lächerlich sein, gelangte ich langsam zu dem Übrigen: zu den französischen Buchhandlungen und Kunstsalons, zu dem Treiben der Straßen und Betriebe, ja, mit einiger Überwindung, sogar zu der Natur. Schade, daß sie mir in der Schweiz nur in Übertreibungen vorzukommen scheint; was für Ansprüche machen diese Seen und Berge, wie ist immer etwas zu viel an ihnen, die einfachen Augenblicke hat man ihnen abgewöhnt. Die Bewunderung unserer Groß- und Urgroßeltern scheint an diesen Gegenden mitgearbeitet zu haben; die kamen da aus ihren Ländern hergereist, wo es sozusagen "nichts" gab, und hier gab es dann "Alles", in Pracht-Ausgaben.
Lieber Himmel: eine Salon-Tisch-Natur, eine Natur mit Auf und Ab, voller Überfluß, voller Verdoppelung, voll unterstrichener Gegenstände. Ein Berg? bewahre, ein Dutzend auf jeder Seite, einer hinter dem anderen; ein See: gewiß, aber dann auch gleich ein feiner See, bester Qualität, mit Spiegelbildern reinsten Wassers, mit einer Galerie von Spiegelbildern, und der liebe Gott,als Kustos, eines nach dem anderen erklärend; wenn er nicht gerade als Regisseur beschäftigt ist, die Scheinwerfer des Abendrots nach den Bergen zu richten, von wo den ganzen Tag der Schnee in den Sommer hineinhängt, damit man doch so recht alle "Schönheiten" beisammen habe. Denn der Winter hat doch die seine, und so ists das Vollkommenste, ihn nicht zu entbehren, während man mitten in den gewärmten Genüssen des Gegenteils sich geborgen fühlt ...
Ich kann mir nicht helfen, ich erreiche diese assortierte Natur am bequemsten mit meiner Ironie, ja und ich erinnere mich der schönen Zeiten, wo ich, hier durchreisend, die Vorhänge des Coupés zuzog, worauf die übrigen Reisenden in den Gängen meinen Anteil Aussicht gierig mitverzehrten, ich bin sicher, es ist nichts übrig geblieben.
Nun sagen Sie: was ist dieser Mensch nun undankbar geworden nach allen Seiten, ausgelassen undankbar? Er ist es gegen München, das ihm doch immerhin in so unüberwindlichen Zeiten eine nicht unfreundliche Zuflucht gewesen ist, und nun ist ers gar nochh gegen seine neue beneidenswerte Freiheit, die er verhöhnt, statt sich bescheiden an ihr zu erholen. Nein, so arg steht es wirjlich nicht mit mir: ich glaube sogar, die Schweiz fängt an, mir begreiflich zu werden, in ihrer eigentümlichen Durchdringung ung angestammten Einheit. Das verdanke ich Bern, wo mir die gastlichsten Wochen bereitet gewesen sind, und von wo aus diese Länder, die die Natur aus Grenzen und Hindernissen gebildet hat, in einer merkwürdigen Klarheit und Durchsichtigkeit erkennbar werden. Ihre Geschichte ist voll Naturkraft, die Menschen, wo sie hier als Masse zusammentraten, hatten etwas von der Konsistenz und Härte des Gebirgs und ihr hervorstürzender Wille ist in den entscheidendsten Momenten eine Fortsetzung jener Unwiderstehlichkeit gewesen, mit der die Wildbäche in den Talschaften ankommen.
Und zu welchem genauen und geformten Selbstbewußtsein hat sich in den ausdrucksvollen Städten diese erfahrene und erwiesene Kraft ausgebildet: wie steht Bern einstimmig da, jedes Haus über seinen gekretschten Steinlauben, die auch noch den Verkehr in ihren Schutz einbeziehen, so daß draußen nur die Märkte bleiben und die wunderbar bildlichen Brunnen, die sogar das Wasser bürgerlich machen! Gerne entschließt man sich dazu, den schweizer Menschen als einen Teil dieser Verbürgtheit sich klar zu machen: man versteht dann am ehesten seinen Umriß und seine Struktur, die in ihrer Anlage tatsächlich aus der gleichmäßigsten Masse geknetet und aus dem Ganzen geschnitten scheinen: so daß in jedem das Volk gegenwärtig ist (was man bei uns so entbehrt, wo mans beständig mit dem Stumpfen oder gar Amorphen zu tun hat, oder aber dem Einzelnen als einer Ausnahme gegenübersteht). Seltsam übrigens: die Psychoanalyse nimmt hier (wenigstens in Zürich) die eindringlichsten Formen an: fast alle diese ohnehin sauberen und eckigen jungen Leute werden analysiert -; nun denken Sie sich das aus: so ein sterilisierter Schweizer, in den alle Winkel ausgekehrt und gescheuert sind -, was für ein Innenleben kann in seinem Gemüt stattfinden, das wie ein Operarions-Zimmer keimfrei und schattenlos beleuchtet ist!...
Seit sechs Wochen bin ich hier; nur, wie langsam! um wirklich zur Besinnung zu kommen, müßten mir Aufenthalt und Jahreszeit unabsehlich zugesprochen sein! Und zum Schuß frag ich doch: München? Was verspricht es? Wie wird der Winter werden? (der doch wohl auch der meine wird werden müssen). Die herzlichsten Grüße für Lilinka und Wera, und herzliche und treu ergebene an Sie.
Rilke
Albert Schweitzer – Die besondere Tat
Als ein Mann der individuellen Tat bin ich seither von vielen Menschen, die sie ebenfalls wagen wollten, um Meinung und Rat angegangen worden. Nur in verhältnismäßig wenigen Fällen habe ich die Verantwortung, sie ohne weiteres dazu zu ermutigen, auf mich genommen. Oft muss ich feststellen, dass das Bedürfnis, "etwas Besonders zu tun", einem unsteten Geiste entsprang. Die Betreffenden wollten sich größeren Aufgaben widmen, weil diejenigen, vor die sie sich gestellt sahen, ihnen nicht genügten. Oft zeigte sich auch, dass sie in ihrem Entschluss durch ganz nebensächliche Erwägungen bestimmt waren. Nur derjenige, der jeder Tätigkeit einen Wert abgewinnen kann und der sich jeder mit vollem Pflichtbewusstsein hingibt, hat das innerliche Recht dazu, sich ein außerordentliches Tun statt des ihm natürlich zufallenden zum Ziel zu setzten. Nur derjenige, der sin Vorhaben als etwas Selbstverständliches, nicht als etwas Außergewöhnliches empfindet und der kein Heldentum, sondern nur in nüchternem Enthusiasmus übernommene Pflicht kennt, besitzt die Fähigkeit, ein geistiger Abenteurer zu sein, wie sie die Welt nötig hat. Es gibt keine Helden der Tat, sondern nur Helden des Verzichtens und des Leidens. Ihrer sind viele. Aber wenige von ihnen sind bekannt, und auch dieses nicht der Menge, sondern nur den Wenigen. [...]
Von denen, die irgendwie den Drang in sich fühlen und tatsächlich befähigt waren, persönliches Tun zum Berufe ihres Lebens zu machen, müssen die meisten der Umstände halber darauf verzichten. Gewöhnlich liegt es daran, dass sie für Menschen, die von ihnen abhängen, zu sorgen haben oder zum Erwerb ihres eigenen Unterhaltes in einem Berufen verbleiben müssen. Nur wer aus eigener Kraft oder durch ergebene Freunde in materieller Hinsicht ein Freier ist, kann es heute wagen, den Weg persönlicher Tat zu begehen. Früher galt dies nicht in diesem Maße, weil der, der auf Erwerb verzichtete, immerhon noch Hoffnung haben konnte, irgendwi durchs Leben zu kommen, während der in den heutigen schweren wirtschaftlichen Verhältnissen dasselbe tun wollte, Gefahr liefe, nicht nur materiell, sondern auch geistig zugrunde zu gehen.
So habe ich es mit ansehen und erleben müssen, dass liebe und tüchtige Menschen auf persönliche Tat, die für die Welt wertvoll gewesen wäre, verzichten mussten, weil sie durch die Umstände unmöglich wurde.
Albert Schweitzer – Aus meinem Leben und Denken. Fischer Bücherei, Hamburg 1954, S.77 ff
Gedanken während Zeiten des Krieges - Für Deutsche und diejenigen, die nicht glauben sie hassen zu müssen.
Noch auf der Suche nach:
Ruchti, Jacob: Zur Geschichte des Kriegsausbruches. Bern, 1916.
Auch zu empfehlen:
Hermann Bahr, Himmelfahrt, Roman, 1916
https://www.literaturdownload.at/pdf/Hermann%20Bahr%20-%20Himmelfahrt.pdf
(Hoffentlich nicht verändert!)
https://www.projekt-gutenberg.org/bahr/himmelfa/chap001.html
Britische Propaganda in der Schweiz während des Zweiten Weltkriegs
Schlussbetrachtung aus "Britische Propaganda in der Schweiz
während des Zweiten Weltkriegs 1939–1945". Einer Dissertation
der Kultur- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der
Universität Luzern vorgelegt von Martin Andreas Lutz. Angenommen am 24.09.2018 auf Antrag von Prof. Dr. Aram Mattioli, Erstgutachter und Prof. Dr. em. Georg Kreis, Zweitgutachter.
Die Schaffung eines neuen Informationsministeriums zu Beginn des Zweiten
Weltkriegs stellte die Briten vor eine grosse Herausforderung. Weder gab es einen
klar umrissenen Auftrag der Regierung, noch waren schlüssige Kriegsziele for
muliert worden, nach denen man die Propaganda hätte ausrichten können. Positive Nachrichten von den Kriegsfronten waren überdies lange Zeit Mangelware.
Dass mehr oder weniger talentierte Amateure und nur wenige Journalisten das
anfangs 999-köpfige Ministerium bevölkerten, war ein weiteres Handicap. Die
Voraussetzungen für eine nachhaltige Propaganda waren somit ungünstig, im
Falle der Schweiz sogar denkbar schlecht, da die Kommunikation zwischen London und Bern zeitweilig unterbrochen war.
Umso bedeutsamer wurde die Rolle der diplomatischen Vertretung in
Bern, die vom Aussenministerium behelfsmässig angewiesen wurde, den Vertrieb von Propagandamaterial selber zu organisieren. Der Kommunikationswis
senschaftler Nicolas Pronay hat die daraus resultierende Öffentlichkeitsarbeit
treffend als eine «Do-it-yourself-Propaganda» bezeichnet.(1)
Sie hatte den Vorteil,
dass sie bestmöglich auf ihre Zielgruppe zugeschnitten werden konnte: auf die
kulturellen Eigenarten, das politische Geschehen, die Meinung der Bevölkerung
oder auf die Stimmung des Tages.
Die in London entworfenen Propagandapläne
für die Schweiz verlieren angesichts dieser Kompetenzverlagerung an Bedeutung.
Es muss sogar angenommen werden, dass die Pläne dem Presseattaché in Bern
nie vorgelegt wurden – denn erstaunlicherweise nimmt keine einzige der uns
überlieferten Korrespondenzen zwischen Bern und London Bezug darauf. Die
Propagandapläne waren offensichtlich nur pro domo erstellt worden: um die Mitarbeiter der Ländersektionen über die Verhältnisse in ihren Zielgebieten zu unterrichten, um die vorhandenen Kanäle zu bezeichnen und um die Absichten festzuhalten. Diese Absichten stützen sich einerseits auf global gültige Propagandaziele – die sogenannten «World Common Themes»(2) – und andererseits auf die
Lageberichte aus Bern, aus denen die Propagandabedürfnisse der Schweiz herausgelesen werden konnten.
Die Pläne des MoI, die notabene erst im dritten Kriegsjahr entworfen wurden, waren demnach wenig konstruktiv für die propagandistische Feldarbeit. Der
britischen Gesandtschaft fehlten konkrete Vorgaben, wie sie die Schweizer moralisch hätten aufrüsten sollen. Ihr Vorteil war, dass Presseattaché Daniels über eine reiche journalistische Erfahrung verfügte und bereits im Sommer 1940 ein Nachrichtenbulletin herausgab, das lange Zeit die einzige Propagandawaffe der
Briten bleiben sollte. Es richtete sich primär an ein elitäres Publikum – an «führende Persönlichkeiten», die als intermediäre Meinungsmacher eine breitere Öffentlichkeit erreichen konnten.
Auf diesem Grundprinzip beruhte die britische
Propaganda. Sie gab vor, wertneutrale Informationen zu vermitteln und grenzte
diese von wertenden Kommentaren ab. Darüber hinaus sollte sie möglichst auf
dem Freiwilligkeitsprinzip beruhen: Der Schweizer sollte selber bestimmen können, welche Propaganda er konsumieren wollte ‒ das Pressebulletin musste er
abonnieren, Propagandabroschüren musste er zu einem symbolischen Preis
käuflich erwerben, und im Falle der BBC-Sendungen wurde er sogar eingeladen,
selber mitzuwirken. Es war die Strategie der kleinstmöglichen Einmischung
(«the minimum of interference») in die inneren Angelegenheiten der Schweiz,
wie das Foreign Office dies gefordert hatte.(3)
Eine solche Strategie verlangte sehr
viel Taktgefühl von den Verantwortlichen, war aber die einzige probate Methode,
um Einfluss auf die Gesinnung eines Volkes zu nehmen, das sich gerne propagandaresistent und vernunftgepanzert gab. «Man ist in der Schweiz gewöhnt, die
Wirklichkeit scharf im Auge zu behalten und die Dinge nach dieser, und nicht nach
dem Dunst der Propaganda, zu beurteilen», hatte der Berner Bund die Schweizer
Attitüde einmal auf den Punkt gebracht.(4)
Die Schweizer waren überzeugt, dass
ihre politische Reife und ihr hoher Bildungsgrad einen umfassenden Schutz gegen unerwünschte Einflüsse aus dem Ausland bilden würden. Aufgrund dessen
empfahl die Schweizer Gesandtschaft in London dem Leiter der Swiss Section im
MoI, «die beste Propaganda, die er im Interesse seines Landes in der Schweiz
machen könne, wäre, überhaupt keine Propaganda zu machen, jedenfalls keine
laute Propaganda und keine, die uns irgendwie genieren würde.»(5)
Um die politische Meinung der Schweizer beeinflussen zu können, war
also grosses Geschick gefordert. Die Propaganda musste erzieherisch sein, ohne
schulmeisterlich zu wirken, sie musste informieren, durfte aber nicht kommentieren, und sie sollte eine breite Bevölkerung erreichen, ohne sensationell zu erscheinen. Der journalistischen Erfahrung und dem taktvollen Vorgehen von Presseattaché Daniels ist es zu verdanken, dass diese Quadratur des Kreises gelingen
konnte. Das Rückgrat seiner Propaganda bildeten die von der amtlichen britischen Nachrichtenagentur (British Official Wireless) gelieferten Depeschen, die er in Form eines Gesandtschaftsbulletins praktisch unzensiert weiterverbreiten
konnte.
[...]
Immerhin darf festgehalten werden, dass die britische Propaganda am Ende des Zweiten Weltkriegs – anders als 1918 – zumindest in England an Akzeptanz gewonnen hatte und dort als staatliches Instrument
der Aussenpolitik salonfähig geworden war. Das Informationsministerium wurde
zwar vom Frühjahr 1945 an sukzessive abgebaut.(11) Aus dem Kern des Ministeriums ging aber 1946 eine neue staatliche Kommunikations- und Marketingagentur, das Central Office of Information, hervor, welche bis 2011 bestehen sollte.
---
Ich frage: Gibt es seit 2011 keine britische Propaganda mehr? Oder wer und welche Institution(en) führen seit 2011 diese Aufgabe weiter?
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Die Lücke [...], der Rest und die Quellen zu den Fußnoten (1)-(5) und (11) sind dort zu lesen:
https://zenodo.org/record/3236021/files/eDissUniLU2019_KSF_LUTZMartin.pdf?download=1
Die Dreigliederung des Menschen
I. Die leibliche Wesenheit des Menschen
Durch leibliche Sinne lernt man den Leib des Menschen kennen. Und die Betrachtungsart kann dabei keine andere sein als
diejenige, durch welche man andere sinnlich wahrnehmbare
Dinge kennen lernt. Wie man die Mineralien, die Pflanzen, die
Tiere betrachtet, so kann man auch den Menschen betrachten.
Er ist mit diesen drei Formen des Daseins verwandt. Gleich den
Mineralien baut er seinen Leib aus dem Stoffen der Natur auf;
gleich den Pflanzen wächst er und pflanzt sich fort; gleich den
Tieren nimmt er die Gegenstände um sich herum wahr und bildet auf Grund ihrer Eindrücke in sich innere Erlebnisse. Ein
mineralisches, ein pflanzliches und ein tierisches Dasein darf
man daher dem Menschen zusprechen.
Die Verschiedenheit im Bau der Mineralien, Pflanzen und Tiere
entspricht den drei Formen ihres Daseins. Und dieser Bau - die
Gestalt - ist es, was man mit den Sinnen wahrnimmt und was
man allein Leib nennen kann. Nun ist aber der menschliche
Leib von dem tierischen verschieden. Diese Verschiedenheit
muss jedermann anerkennen, wie er auch über die Verwandtschaft des Menschen mit den Tieren sonst denken mag. Selbst
der radikalste Materialist, der alles Seelische leugnet, wird nicht
umhin können, den folgenden Satz zu unterschreiben, den
Carus in seinem «Organon der Erkenntnis der Natur und des Geistes» ausspricht:
«Noch immer bleibt zwar der feinere innerlichste Bau des
Nervensystems und namentlich des Hirns dem Physiologen
und Anatomen ein unaufgelöstes Rätsel; aber dass jene Konzentration der Gebilde mehr und mehr in der Tierreihe steigt
und im Menschen einen Grad erreicht, wie durchaus in keinem anderen Wesen, dies ist eine vollkommen festgestellte
Tatsache; es ist für die Geistesentwicklung des Menschen von
höchster Bedeutung, ja wir dürfen es geradezu aussprechen,
eigentlich schon die hinreichende Erklärung. Wo der Bau des
Hirns daher nicht gehörig sich entwickelt hat, wo Kleinheit
und Dürftigkeit desselben, wie beim Mikrozephalen und Idioten, sich verraten, da versteht es sich von selbst, dass vorn
Hervortreten eigentümlicher Ideen und vom Erkennen gerade so wenig die Rede sein kann wie in Menschen mit völlig
verbildeten Generationsorganen von Fortbildung der Gattung. Ein kräftig und schön entwickelter Bau des ganzen
Menschen dagegen und des Gehirns insbesondere wird zwar
noch nicht allein den Genius setzen, aber doch jedenfalls die
erste unerlässlichste Bedingung für höhere Erkenntnis gewähren.»
Wie man dem menschlichen Leib die drei Formen des Daseins,
die mineralische, die pflanzliche und die tierische, zuspricht, so
muss man ihm noch eine vierte, die besondere
menschliche,
zusprechen. Durch seine mineralische Daseinsform ist der
Mensch verwandt mit allem Sichtbaren, durch seine pflanzliche
mit allen Wesen, die wachsen und sich fortpflanzen; durch seine tierische mit allen, die ihre Umgebung wahrnehmen und auf
Grund äußerer Eindrücke innere Erlebnisse haben; durch seine
menschliche bildet er schon in leiblicher Beziehung ein Reich
für sich.
II. Die seelische Wesenheit des Menschen
Als eigene Innenwelt ist die seelische Wesenheit des Menschen
von seiner Leiblichkeit verschieden. Das Eigene tritt sofort entgegen, wenn man die Aufmerksamkeit auf die einfachste Sin-
nesempfindung lenkt. Niemand kann zunächst wissen, ob ein
anderer eine solche einfache Sinnesempfindung in genau der
gleichen Art erlebt wie er selbst. Bekannt ist, dass es Menschen
gibt, die farbenblind sind. Solche sehen die Dinge nur in verschiedenen Schattierungen von Grau. Andere sind teilweise far-
benblind. Sie können daher gewisse Farbennuancen nicht
wahrnehmen. Das Weltbild, das ihnen ihr Auge gibt, ist ein anderes als dasjenige sogenannter normaler Menschen. Und ein
Gleiches gilt mehr oder weniger für die andern Sinne. Ohne
weiteres geht daraus hervor, dass schon die einfache Sinnesempfindung zur Innenwelt gehört. Mit meinen leiblichen Sinnen
kann ich den roten Tisch wahrnehmen, den auch der andere
wahrnimmt; aber ich kann nicht des andern Empfindung des
Roten wahrnehmen.
Man muss demnach die Sinnesempfindung als
Seelisches bezeichnen. Wenn man sich diese Tatsache
nur ganz klar macht, dann wird man bald aufhören, die Innenerlebnisse als
bloße Gehirnvorgänge oder ähnliches anzusehen.
- An die Sinnesempfindung schließt sich zunächst das
Gefühl.
Die eine Empfindung macht dem Menschen Lust, die andere
Unlust. Das sind Regungen seines inneren, seines seelischen
Lebens. In seinen Gefühlen schafft sich der Mensch eine zweite
Welt zu derjenigen hinzu, die von außen auf ihn einwirkt. Und
ein Drittes kommt hinzu: der Wille. Durch ihn wirkt der
Mensch wieder auf die Außenwelt zurück. Und dadurch prägt
er sein inneres Wesen der Außenwelt auf. Die Seele des Menschen fließt in seinen Willenshandlungen gleichsam nach au-
ßen. Dadurch unterscheiden sich die Taten des Menschen von
den Ereignissen der äußeren Natur, dass die ersteren den Stempel seines Innenlebens tragen. So stellt sich die
Seele als das Eigene des Menschen der Außenwelt gegenüber. Er erhält von der
Außenwelt die Anregungen; aber er bildet in Gemäßheit dieser
Anregungen eine eigene Welt aus. Die Leiblichkeit wird zum
Untergrunde des Seelischen.
III. Die geistige Wesenheit des Menschen
Das Seelische des Menschen wird nicht allein durch den Leib
bestimmt. Der Mensch schweift nicht richtungs- und ziellos von
einem Sinneseindruck zum andern; er handelt auch nicht unter
dem Eindrucke jedes beliebigen Reizes, der von außen oder
durch die Vorgänge seines Leibes auf ihn ausgeübt wird. Er
denkt über seine Wahrnehmungen und über seine Handlungen
nach. Durch das Nachdenken über die Wahrnehmungen erwirbt er sich Erkenntnisse über die Dinge; durch das Nachden-
ken über seine Handlungen bringt er einen vernunftgemäßen
Zusammenhang in sein Leben. Und er weiß, dass er seine Aufgabe als Mensch nur dann würdig erfüllt, wenn er sich durch
richtige Gedanken sowohl im Erkennen wie im Handeln leiten
lässt. Das Seelische steht also einer zweifachen Notwendigkeit
gegenüber.
Von den Gesetzen des Leibes wird es durch Naturnotwendigkeit bestimmt; von den Gesetzen, die es zum richtigen Denken führen, lässt es sich bestimmen, weil es deren Notwendigkeit frei anerkennt. Den Gesetzen des Stoffwechsels ist
der Mensch durch die Natur unterworfen; den Denkgesetzen
unterwirft er sich selbst. - Dadurch macht sich der Mensch zum
Angehörigen einer höheren Ordnung, als diejenige ist, der er
durch seinen Leib angehört. Und diese Ordnung ist die
geistige.
So verschieden das Leibliche vom Seelischen, so verschieden ist
dieses wieder vom Geistigen. Solange man bloß von den Kohlenstoff-, Wasserstoff-, Stickstoff-, Sauerstoffteilchen spricht,
die sich im Leibe bewegen, hat man nicht die Seele im Auge.
Das seelische Leben beginnt erst da, wo innerhalb solcher Bewegung die Empfindung auftritt: ich schmecke süß oder ich
fühle Lust. Ebensowenig hat man den
Geist im Auge, solange
man bloß die seelischen Erlebnisse ansieht, die durch den Menschen ziehen, wenn er sich ganz der Außenwelt und seinem
Leibesleben überlässt. Dieses Seelische ist vielmehr erst die
Grundlage für das Geistige, wie das Leibliche die Grundlage für
das Seelische ist. - Der Naturforscher hat es mit dem Leibe, der
Seelenforscher (Psychologe) mit der Seele und der Geistesfor-
scher mit dem
Geiste zu tun. Durch Besinnung auf das eigene
Selbst sich den Unterschied von Leib, Seele und Geist klarzuma-
chen ist eine Anforderung, die an denjenigen gestellt werden
muss, der sich denkend über das Wesen des Menschen aufklä-
ren will.
http://anthroposophie.byu.edu/schriften/009.pdf