Radikalkritik an der Schule und die Lust am Denken

"Als Professor für Neurobiologe arbeite ich in der Neurobiologischen Präventionsforschung der Psychiatrischen Klinik der Universität Göttingen. Wissenschaftlich befasse ich mich u. a. mit den Wirkungsmechanismen von Psychopharmaka, mit dem Einfluss früher Erfahrungen auf die Hirnentwicklung, mit den Auswirkungen von Angst und Stress und der Bedeutung emotionaler Reaktionen bei Lernprozessen und der neurobiologischen Verankerung von Erfahrungen. "

Meine Kernbotschaft

Aufgrund der langjährigen Forschungstätigkeit auf dem Gebiet der Entwicklungsneurobiologie versuche ich zu beschreiben, dass die Expression der genetischen Anlagen des Menschen zunächst zur Herausbildung eines Überangebots neuronaler Vernetzungsmöglichkeit im sich entwickelnden Gehirn führt und dass anschließend von diesem Überangebot nur diejenigen Verschaltungsmuster stabilisiert werden, die im Verlauf der prä- und postnatalen Entwicklung besonders häufig aktiviert werden.

Das Konzept der nutzungsabhängigen Plastizität („experience dependent plasticity“) impliziert, dass die Strukturierung des menschlichen Gehirns im hohen Maß durch die individuellen Erfahrungen gelenkt wird, die ein Mensch insbesondere während dieser Phase neuronaler Ausreifungsprozesse in seinem jeweiligen sozialen und kulturellen Umfeld macht, zu machen Gelegenheit hat oder zu machen gezwungen ist. Nur unter entsprechend günstigen Rahmenbedingungen kann das anfänglich angelegte Potenzial auch weitgehend genutzt und in Form entsprechend komplexer neuronaler Verschaltungsmuster stabilisiert werden.

Unter weniger günstigen Bedingungen kommt es zur Stabilisierung einfacherer aber dafür robusterer Verschaltungsmuster und damit zur Verbesserung einzelner Teilleistungen auf Kosten von Komplexität und Kohärenz, oder einfacher ausgedrückt: zu einer Kümmerversion dessen, was aus diesem anfänglichen Potenzial hätte werden können. Um es Menschen in Zukunft zu ermöglichen, ihre Potenziale optimaler zu entfalten, müssen dafür günstigere Rahmenbedingungen geschaffen werden, muss eine auf Potenzialentfaltung ausgerichtete Beziehungskultur in Familien, Kindergärten, Schulen, Universitäten, im Berufsleben, und nicht zuletzt in den Kommunen entwickelt werden.

Damit ist grob umrissen, worum es mir in meinen öffentlichen Aktivitäten geht. Ich möchte die Erkenntnisse über die Plastizität des menschlichen Gehirns anbieten, als Hilfe zur Selbsterkenntnis und zur bewussten Gestaltung und Weiterentwicklung der von Menschen auf der Grundlage ihrer jeweiligen Erkenntnisse bisher geschaffenen Lebenswelten.

Gerald Hüther: Schule und Gesellschaft - die Radikalkritik

Gerald Hüther: Wieso die Schulen versagen

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Keiner kann Heilen oder Gesundmachen

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