Ein Liter Schokolade

I'm not as brave as my friend“, sage ich zu der kurzhaarigen Lolita hinter der Theke. Sie trägt einen rosfarbenen Kuschelpulli. An ihrem schlanken Hals liegt eine Kette mit Anhänger. Ich stelle mir vor, was ihre Brüste hält und vergesse dabei, warum ich vor ihr stehe.
"You should believe in yourself“, antwortete sie mir. Der Kater von gestern versperrt mir den Weg in ihre Augen. Mein Blick zieht sich nach innen und ich bestelle eine heiße Schokolade. Die kleine Lolita stellt mich vor die Entscheidung, wie ich sie lieber hätte, mit Mandel oder Haselnuss. Ich drehe mich um und gehe zu dem Tisch, an dem bereits S. und E. hängen. Wenig später steht vor mir eine Tasse geschmolzener Blockschokolade mit Haselnuss und Mandelkern. Ich lehne mich zurück und nehme das Buch in die Hand, das S. aus einem der Regale neben uns genommen hatte. Es ist Rilke. Ich lese vier Seiten, dann bemerke ich: es ist auf kyrillisch.

Sympathie


Beim ersten Eindruck entscheiden der Gesichtsausdruck, die Kleidung und die Haltung. Sind diese drei Faktoren nicht abstoßend, sondern das Äußere persönlich, gepflegt und natürlich, hält der Mensch sich entspannt und souverän und ist im Gesicht sogar ein Lächeln zu sehen, dann ist der erste Eindruck sympathisch.

Danach werden die ersten Worte getauscht, deren Inhalt noch keine Bedeutung hat. Erst geht es um die Aufmerksamkeit, und ob sie ehrlich ist. Verlogenen Smalltalk kann man sich für das Straßentheater aufsparen. Künstliche Lockerheit ist ebenso unangebracht. Auch der Versuch, tief in die Seele des anderen vordringen zu wollen, ist schlecht. Also immer locker bleiben, sag ich, immer locker bleiben. Und einfach nicht zu viel wollen und nicht zu viel tun. Es wird sich etwas ergeben.

Wenn es sich dann beispielsweise ergeben hat, dass man einige Meter zusammen gegangen ist und auf Stühlen sitzt, um sich zu unterhalten, wird es komplizierter: Ich interessiere mich für die Menschen in meiner Welt. Wirklich. Das klingt banal, ist es aber nicht. Denn die meisten Menschen reden lieber von sich, als zuzuhören. Sie verstehen nicht, dass ich als Zuhörer erst einmal viel mehr Vorteile habe: Ich höre wie sie sprechen, wo sie herkommen und ob das, was sie mir erzählen, Bullshit ist oder interessant. Vielleicht erfahre ich sogar was sie mögen und was nicht, was wiederum ihren Charakter beschreibt. Und ganz wichtig: Ich werde schnell erkennen, ob sie das haben, was ein Gespräch für mich unterhaltsam macht: Humor.

Bei ungefähr gleich verteilter Aufmerksamkeit findet man das auch über mich heraus und wir lernen uns gegenseitig kennen. So wächst ein Gespräch. Ohne beiderseitiges Interesse wächst es nicht. Dann finden wir uns nicht sympathisch.

Es sei denn, ich habe aktives Interesse daran, dass man mich sympathisch findet. Dann geht das Gespräch weiter. Ich lache über falsche Witze, höre grinsend zu, frage freudig nach und ergänze hin und wieder kleine Botschaften aus verschiedenen Leben, die die anderen animieren weiterzusprechen. Es wird uns gut gehen und obwohl man mich nicht kennenlernt, werde ich für sympathisch befunden. Es ist irgendwie schön. Mir macht es Spaß. Für kurze Zeit. Ist das sympathisch? Für die einen ja, für die anderen nein. Ich finde auf jeden Fall alle anderen sympathisch. Die Frage ist nur, für wie lange.

Nachtrag: Kein sozial-intelligenter Mensch käme auf die Idee, sich anderen gegenüber selbst als sympathisch zu bezeichnen. Erst recht dann nicht, wenn er weiß, dass man ihn nicht besonders mag. Stattdessen wird er sich bemühen, ein paar Dinge zu tun, die ihn in den Augen der anderen sympathisch erscheinen lassen. Jung von Matt (2002)