Mut zur Systemkritik

„Es wäre schlecht, wenn die Bevölkerung das Vertrauen in die Medien verliert“, sagte ein Medienforscher. Mir wäre es lieber, er hätte folgendes gesagt: „Es wäre schlecht, wenn die Medien das Vertrauen der Bevölkerung verspielen.“

Im Grunde wacht die die Bevölkerung zunehmend auf. Sie beginnt zu realisieren, dass in der Medienwelt das Gleiche stattfindet, wie in anderen Bereichen der Berufswelt, beispielsweise im Gesundheitssystem. Über Ärzte, die vermeintlichen Götter in weiß, dachte man lange Zeit vertrauensvoll, sie hätten nur und ausschließlich das Wohl ihrer Patienten im Sinn.

Im Laufe der letzen Jahre wurde leider deutlich, dass viele Ärzte keine reinen Wohltäter sind. Einige von ihnen sind sogar regelrechte Gewinnoptimierer; und beim Blick hinter die Kulissen wurde noch etwas klar: Selbst diejenigen, die ihren Beruf menschlich und würdevoll ausführen möchten, werden von Krankenkassen und Pharmaindustrieeinflüssen gedrängt, die Gewinne zu erhöhen. Sie werden systematisch genötigt, ökonomischen Gewinn zu optimieren, anstatt menschliche Gesundheit zu maximieren. Seither kämpfen einige um den guten Ruf ihres Berufsstand. Andere um menschenwürdige Verhältnisse für Ärzte, Krankenpfleger und Patienten. Einige beginnen den Job allein mit der Vision, viel Geld verdienen zu können.

Ein ähnliches Phänomen findet auch in der Medienbranche statt. Selbst bei kritischen Journalisten. Mögen sie sich auch auf ihre Überzeugung berufen und sich an die ethischen Werte ihrer Ausbildung erinnern. Sie werden im gewinngetriebenen Mahlwerk der Medienanstalten zu Opportunisten in eigener Sache. Wer nicht spurt, verliert seinen Job.

Für mich sind Gesundheits- und Medienkrise logische Konsequenzen einer schädlichen Ökonomisierung der Gesellschaft. Erfolg wird fast ausschließlich in der Mehrung von finanziellem Gewinnen erkannt. Allerdings hat diese Entwicklung in der Medienbranche besonders gefährlich Effekte auf die Gesellschaft.

Informierten uns die Medien zwar ausführlich über Missstände in anderen Branchen, stellt sich nun die Frage, wer über die Missstände der Medienbranche berichten soll. Aus eigenverantwortlichen Gründen schaffen es die dort Angestellten anscheinend (noch) nicht. Wie kann breit über Systemkritik diskutiert werden, wenn diejenigen, die darüber berichten sollten, von diesem System abhängig sind und es folglich nicht kritisieren?

Das Hauptziel aufrichtiger Systemkritik muss - für mich - die offensichtliche Ursache der Medienkrise sein: die Ökonomisierung der Gesellschaft. Aber wo wird die indoktrinierte Alternativlosigkeit verordneter Privatisierungen unter der Dominanz einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung laut diskutiert? Auf den Titelseiten der Mainstreammedien sucht man lange.

Ich meine: Ohne die Wirtschaftsordnung zu kritisieren, läuft jeder Versuch, Lösungen für die aktuellen Teilkrisen zu finden, ins Leere. Ich halte mich hier gerne an Einstein, der sagte: „Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.“