Die Nürnberger Prinzipien

Robert H. Jackson, amerikanischer
Chefankläger, in seiner Rede zur
Eröffnung des Prozesses, Nürnberg
21. November 1945: „…wir dürfen
niemals vergessen, dass nach dem
gleichen Maß, mit dem wir die Angeklagten
heute messen, auch wir
morgen von der Geschichte gemessen
werden. Diesen Angeklagten einen vergifteten
Becher reichen, bedeutet, ihn
an unsere eigenen Lippen zu bringen.“

Die Nürnberger Prinzipien

Nach den Prozessen von Nürnberg und Tokio gab es lange Jahre keine internationalen Prozesse gegen Kriegs- und Menschenrechtsverbrecher mehr, obwohl Robert Jackson das in Nürnberg angekündigt hatte. Doch wurden die Anklagepunkte und die wesentlichen Rechtsgrundsätze von Nürnberg, wie sie im Londoner Statut niedergelegt waren, von der UNO rasch zu allgemeinen Prinzipien des Völkerrechts erklärt. Bereits wenige Wochen nach dem Nürnberger Urteil, am 11. Dezember 1946 bestätigte die VN-Generalversammlung einstimmig die Völkerrechtsprinzipien, die dem Statut des Nürnberger Prozesses und dem Urteil zugrunde lagen.

Zugleich beauftragte sie – mittels ihres „Komitees für die fortschreitende Entwicklung des Völkerrechts und seiner Kodifizierung“ – die entstehende Völkerrechtskommission, einen Entwurf für ein Völkerstrafgesetzbuch und Vorschläge für einen internationalen Strafgerichtshof auszuarbeiten.

Am 29. Juli 1950 formulierte die Völkerrechtskommission ihre Fassung der „Nürnberger Prinzipien“, die seither als verbindliche völkerrechtliche Prinzipien gelten.  Im gleichen Jahr legte die Völkerrechtskommission einen ersten Entwurf für ein internationales Strafgesetzbuch für „Verbrechen gegen den Frieden und die Sicherheit der Menschheit“ vor. Zugleich sprach sich die Kommission für die Schaffung eines ständigen internationalen Strafgerichtshofs für diese Verbrechen aus. 1954 legte sie der Generalversammlung einen überarbeiteten Entwurf dieses Strafgesetzbuches vor, der wiederum die „Nürnberger Prinzipien“ aufnahm.

Allerdings vermochte die Generalversammlung damals weder, das Strafgesetzbuch zu verabschieden, noch den vorgeschlagenen Gerichtshof einzurichten. Bis in die neunziger Jahre blieben die „Nürnberger Prinzipien“ ohne Implementierung. Selbst ein erneuter Entwurf, den die Völkerrechtskommission 1991 der Generalversammlung vorlegte, scheiterte. Erst die beiden Ad-Hoc-Gerichtshöfe zu Jugoslawien und Ruanda machten den Weg frei für einen ständigen internationalen Strafgerichtshof.

Völkerrechtliche Bedeutung

Unbestritten war die Wertung der Angriffskriege Deutschlands als Bruch des geltenden Völkerrechts. Neu war, dass dafür nicht die traditionellen Völkerrechtssubjekte, die Staaten, sondern Einzelpersonen verantwortlich gemacht wurden. Auch Kriegsverbrechen, Verbrechen im Krieg also, waren eindeutig definiert. Im Prozess versuchten die deutschen Verteidiger immer wieder, auch Kriegsverbrechen der Alliierten zum Thema zu machen. Es wird eine berechtigte Kritik bleiben, dass zum Beispiel die Angriffskriege der Sowjetunion, die Bombardierung von mit Zivilbevölkerung überfüllten Städten, der Abwurf der Atombomben auf Japan oder die Ermordung von 4000 polnischen Offizieren durch die sowjetische Armee bei Katyn nicht wenigstens Gegenstand eines späteren Verfahrens wurden.

Der bis dahin noch wenig gebräuchliche Straftatbestand „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ wurde von Robert Jackson mit Recht als notwendig bezeichnet, um einen barbarischen Rückfall hinter die erreichten Normen der zivilisierten Völker völkerrechtlich zu fassen. Der verbreitete Vorwurf „Siegerjustiz“ kann sich weder auf willkürliche Anklagepunkte noch auf unfaire Prozessführung berufen. Ziel das Verfahrens war nicht, eine Kollektivschuld Deutschlands festzustellen, im Gegenteil: Es waren Personen angeklagt, Ziel des Verfahrens war der Nachweis ihrer individuellen Verantwortlichkeit.

Der Prozess war Teil der Anstrengungen, der deutschen Bevölkerung die Augen über das Nazi-Regime zu öffnen, also Teil der demokratischen Re-Education.  Damit war der Prozess allerdings überfordert, wie sich angesichts der ambivalenten Wirkung in Deutschland zeigte. Dennoch fand im Nürnberger Gerichtssaal die erste große und öffentliche Präsentation der Verbrechen des Nationalsozialismus und somit geschichtliche Aufklärungsarbeit statt. Trotz mancher Defizite bleibt der Nürnberger Prozess Grundstein für das Völkerstrafrecht der Nachkriegszeit.

Die Nürnberger Prinzipien

  1. Jede Person, welche ein völkerrechtliches Verbrechen begeht, ist hierfür strafrechtlich verantwortlich.
  2. Auch wenn das nationale Recht für ein völkerrechtliches Verbrechen keine Strafe androht, ist der Täter nach dem Völkerrecht strafbar.
  3. Auch Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder sind für von ihnen begangene völkerrechtliche Verbrechen nach dem Völkerrecht verantwortlich.
  4. Handeln auf höheren Befehl befreit nicht von völkerrechtlicher Verantwortlichkeit, sofern der Täter auch anders hätte handeln können.
  5. Jeder, der wegen eines völkerrechtlichen Verbrechens angeklagt ist, hat Anspruch auf ein ordnungsgemäßes Verfahren.
  6. 06 Folgende Verbrechen sind als völkerrechtliche Verbrechen strafbar: a) Verbrechen gegen den Frieden b) Kriegsverbrechen c) Verbrechen gegen die Menschlichkeit
  7. Die Mittäterschaft zur Begehung der genannten Verbrechen stellt ebenfalls ein völkerrechtliches Verbrechen dar.

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Warum Europa eine Republik werden muss

Bildet euch, liebe Menschen, bildet euch. Und geht selbstbewusst aus der unverschuldeten, unbewussten Unmündigkeit heraus in eine Welt des neuen bewussten, liebvollen, demokratischen Miteinanders! Yeah!

Text aus: Ulrike Guérot, Warum Europa eine Republik werden muss! Eine politische Utopie, Bonn 2016, S.43ff

In Folge der kolossalen Verletzungen demokratischer Gebote sowie der Entkoppelung von wirtschaftlichen und politischen Raum sprießen heute überall in Europa von Finnland bis Griechenland Populisten wie Pilze aus dem Boden, rechte wie linke. Die so genannten Populisten opponieren gegen die EU. Sie brechen die klassischen Parteiensysteme auf und sorgen so für die Erosion der nationalen Demokratien. Der Populismus wird gemeinhin als Bedrohung für die liberalen demokratischen Gesellschaften gebrandmarkt. Europa hat aber nur in zweiter Linie ein Populismus Problem. Sein größtes Problem ist die politische Mitte!

Denn die politische Mitte ist nicht in der Lage oder willens, die EU als eine Vergewaltigung der Demokratie anzuprangern. Auch fühlt sie sich nicht bemüßigt, die EU in Richtung auf eine echte transnationale Demokratie hin weiterzuentwickeln und dabei besonders die positive politische und soziale Integration in Europa in den Mittelpunkt zu stellen. Die EU ist nicht in der Lage aus ihrer politischen Selbstverleugnung herauszutreten. Das ist das eigentliche Problem in Europa!

Der europäische Populismus kommt immer mit zwei Gesichtern daher. Das eine ist ein Anti-Euro-Gesicht, das andere Gesicht wendet sich gegen Migration und Überfremdung. Beide Gesichter verbindet Marie Le Pen mit Viktor Orbán, die „Wahren Finnen“ mit der FPÖ,  oder die schwedischen Demokraten mit Geert Wilders. Die deutsche AfD glaubte unter Bernd Lücke noch, sie könne das hässliche Gesicht hinter ihrem prozessoralen Anti-Euro-Gesicht verstecken, bevor Frauke Petra und Björn Hecke die xenophobe Fratze der Partei auch öffentlich zeigten.

Die Anti-Migration-Fratze der europäischen Populisten macht es der politischen Mitte leicht sich in moralische Überheblichkeit zu flüchten. Diese Überheblichkeit versperrt den Blick darauf, das die Populisten mit ihrer Euro-Kritik einen sehr wunden Punkt des Euro-Governance Systems treffen: der Euro kann zwar funktionieren, ist aber nicht demokratisch. Was Marie Le Pen und ihre fellows kritisieren, nämlich die europäische Post Demokratie, ist nicht sonderlich originell und findet sich als Tatbestand und Kritik in so ziemlich jeder wissenschaftlichen Analyse angesehener Politik und Sozialwissenschaftler. Ganze Bibliotheken lehren uns, dass der Euro nicht ausreichend legitimiert und europäische Parlamentarismus brüchig ist. Der Euro kann die soziale Kohäsion in Europa nicht gewährleisten. Nur wollten wir dieses Wissen jahrzehntelang nicht in die europäischen Parlamente transportieren. Wenn das jemand im politischen Raum laut sagt, kann er schnell in die Gefahr geraten, als Populist zu gelten.

Der gemeine Pegida-Spruch „Wir sind das Volk“ spiegelt für alle auf unangenehm grelle Weise die Tatsache wider, dass Bürger und nicht Staaten souverän sind - nicht im plebiszitären Sinn. Aber sie legitimieren als souveränes Kollektiv die parlamentarische Repräsentation. Folgt man dem Versuch einer Theorie des Populismus von Jan-Werner Müller, dann ist jemand noch lange kein Populist, nur weil er der Herrschaftsmeinung von nationalen oder europäischen Eliten widerspricht. Marie Le Pen wäre mithin noch keine Populisten oder gar pathologisch, nur weil sie berechtigte Kritik an der derzeitigen Euro Politik in Frankreich geltend macht.

Anstatt die Ursachen des populistischen Votums ernst zu nehmen und anzuerkennen, dass es dafür reale Gründe eines Systemversagens gibt, welches soziale und kulturelle Exklusiv produziert, reagiert die politische Klasse oft selbstgefällig moralisch: Das eigene Argument wird ethisch überhöht, Rechtspopulisten gelten als nicht integer, irrational, böswillig oder gefährlich, wobei die identitären Bedürfnisse der Globalisierungverlierer als konkurrierende Werteordnung oder als einfach andere politische Meinung nicht anerkannt werden. Das geflügelte Wort dafür ist heute polarisieren: Wer der Mitte nicht beipflichtet, der polarisiert. Dadurch werden die Argumente der anderen nicht pariert, sondern nur politisch entwertet, und dem demokratischen Diskurs wird mithin selbst die Grundlage entzogen: Er muss zwangsläufig erodieren, wenn die politischen Argumente a priori nicht gleichwertig sind und Konsens über Dissens gestellt wird.

Mit der Ausgrenzung der Populisten beginnt also der Verfall der Demokratie. Dies ist nun wahrlich nicht zur Verteidigung, gar zur Entschuldigung von Einlassungen von AfD-Stimmungsmacher à la André Roggendorf oder Björn Hecke gemeint, indes ist die Frage aufzuwerfen, warum es ihnen beiden gelingt, in Sachsen-Anhalt respektive Thüringen die AfD auf inzwischen satte 24,2 Prozent (Landtagswahl Sachsen-Anhalt 2016) beziehungsweise 10,6 Prozent (Landtagswahl Thüringen 2014) zu bringen. Das sachlich Richtige darf nicht genannt werden und wird in die populistische Ecke gerückt. Im alltäglichen Klein-Klein scheiterte daran sogar jüngst die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses im europäischen Parlament zur Juncker-Steueraffäre, den Linke und die Grünen nicht zusammen mit den Rechtspopulisten einsetzen wollten. Das ästhetische Prinzip von form follows funktion wird hier durchbrochen: Die Form, nicht die Funktion bestimmt die Politik in der EU. Die Wiedererlangung der politischen Ästhetik in Europa müsste hier ansetzen.

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Es gibt keinen Grund

Es gibt keinen Grund außer für mich. Da ist kein Erlebnis in der Welt. Es gibt nur mich und meine Bilder, meine Wünsche, Träume und Sehnsüchte. Sie drängen auf mich ein, wie der Nebel, der abends langsam vom See ans Ufer kriecht. Es ist unheimlich, im Nebel zu verschwinden. Er ist so mächtig, so undurchsichtig. Er hüllt mich ein, nimmt mir die Sicht, doch er lässt mir die Handlungsräume offen.

Im Nebel schwimmt die Zeit. Das Klare wird trüb. Farben verschmelzen und lösen sich auf. Konturen verwischen, verschwinden und täuschen. Wohl bleiben die Gegenstände erhalten, weiß mein Verstand. Doch sehen und riechen, ja nicht einmal hören kann ich sie noch.

Die ganze äußere Welt ist verändert. In Nebel gehüllt. Ich finde mich wieder, an meinem Platz stehend. Um mich diese befremdliche Welt. Ohne Orientierung. Sie fehlt mir, die Orientierung. Ich vermisse sie. Ich vermisse ihren Halt. Auf was soll ich achten? Welche Schatten betrügen mich? Welche Klänge verführen mich? Es ist alles so fremdartig im Nebel.

Ich bin ohne Nebel aufgewachsen. Ohne Wind. Ohne Fluss. Ohne See. Ohne Meer. Bei mir gab es den Wald. Den konnte ich studieren. Aber nicht das, was ich als Bild verwende, wenn ich das beschreibe, was mir geschieht, wenn ich an dich denke im Nebel.

Du bist mein Nebel. Du bist die fehlende Welt. Du bist das Unbekannte, Mysteriöse, das, wovor ich Angst habe - manchmal, das, was mich am Handeln hindert, weil ich keine Orientierung habe. Du bist meine Welt im Nebel. Du bist mein Nebel.

Ich stehe am Ufer eines Sees. Die Sonne geht unter, das Licht nimmt ab. Gleichzeitig kommt der Nebel auf. Er kriecht auf mich zu, umschlängelt meine Beine. Er schlingt sich nach oben. Mit der nächsten Woge verschwinde ich ganz, er umhüllt mich, packt mich ein, umfasst und streichelt mich, nimmt mir den Atem, die Sicht, den Raum. Raubt mir die Welt, wie ich sie kenne. Ich verschwinde im Nebel.

Dunkelheit kenne ich. Sie ist die Einsamkeit. Darin gibt es nur mich. Der Nebel ist anders. Er bringt mich in Beziehung zur Welt. In eine fremde. In eine neblige.

Im düsteren Nebel einsam verloren, von plötzlichem Mut gepackt, schreite ich los. Mit mir als einsamer Quelle im ewigen Nichts. Ich hebe den Fuß, brineg ihn nach vorne, laufe ihm nach. Doch halt. Da ist doch wer? Ich kann dich sehen, hören, fühlen. Ich erkenne dich nicht. Wer bist du? Dort bis du, du wundersamer Engel ohne Augen. Du Decke ohne Wand. Du Wüste ohne Sand. Du Meer ohne Wellen. Du Alles mit dem vielen Nichts.

Für mich bist du unerreichbar. Undurchdringbar. Ich kann nicht fliegen, nicht schweben. Ich kann nicht schwimmen. Du bist nicht hier. Du bist nur eine Fantasie. Du bist meine Sehnsucht, mein im Nebel verborgenes Herz.

Mutig schreite ich zwei schnelle Schritte nach vorne. Doch hoppla! Etwas geschieht. Ich stolpere, ja wirklich, hinüber, eine Wurzel? Eine Hand? Zwei unsichere, hastige Schritte muss ich tun, sonst falle ich, stolpere weiter in die Nebelwelt, die unendliche, und dann stehe ich wieder.

Nichts lies mich stürzen? Nichts fing mich auf? Ich strebte, schritt und strauchelte - und stand erneut. Fest. Unbeweglich. Einige Meter weiter als bisher, doch erneut im selben feuchten Nebel, der auf mich wartet.

Was will der Nebel von mir? Was will er wirklich? Ich schreie ihn an: Was soll ich tun? Wer bin ich? Was willst du von mir? Er schluckt meine Worte und sprüht sie zurück. Ich spüre es: Er will mir etwas sagen. Mit seiner nebligen Stille. Ich soll zuhören. Ja?

Er lädt mich ein. Flüsternd. Ein Schauer läuft mir über den Rücken. Ich zittere. Mein Atem stockt. Ich kann den Nebel verstehen, mit meinen Gedanken, den Dunst schmecke, den Dies fühlen. Ich schließe die Augen und atme das Nass ein. Ich verwachse mit dem Boden, erreiche den Himmel und lasse dazwischen im Nebel mein Leben. Tief in mir, dort wo Glut und Feuer tanzen, dort tanzt der Nebel mit mir. Dort tanzt du mit mir, du Nebel, und löst dich auf, löst mich auf.

Liebe, ruft mir der Nebel zu. Liebe! Und vertraue mir! Was lerne ich mit dir, die du nicht da bist? Was lerne ich im Nebel? Du, du liebes Liebeswesen, du fehlendes Puzzleteil in einem Spiel ohne Bild. Du fehlende Geigerin in einem Orchester ohne Instrumente. Du, du meine Illusion der Unvollkommenheit, dein Glanz blendet mich und erfreut mein Herz obgleich die Sterne dunkeln.