So kommen wir ins Spirituelle Unterrichten

Aber es gibt einen anderen Weg, um fruchtbar, um nützlich zumachen dasjenige, was spirituell ist. Ich möchte das wiederum durch ein Beispiel veranschaulichen. Nehmen wir an, beispielsweise, ich unterrichte ein Kind vielleicht vom 9., 10. Lebensjahre. Ich will dem Kinde die Unsterblichkeit beibringen, die Unsterblichkeit der menschlichenSeele. Wenn ich noch so schöne philosophische Auseinandersetzungen mache, das Kind wird nichts begreifen zunächst.

Es bleibt ganz uneingenommen von demjenigen, was ich ihm darbiete. Wenn ich aber jetzt zu ihm sage: Liebes Kind, schau dir an, wie der Schmetterling aus der Puppe herauskommt, wie er ausfliegt aus der Puppe, dann hast du ein Bild, das du anwenden kannst auf den Menschen. Schau dir den menschlichen Leib an, der ist wie die Schmetterlingspuppe. Und wie aus der Schmetterlingspuppe der Schmetterling ausfliegt, so fliegt die Seele,wenn der Tod kommt, aus dem Körper aus. Nur ist der Schmetterling sichtbar, die Seele ist unsichtbar.

Nun, ich will dieses Bild nur andeuten. Aber dieses Bild werde ich im weiteren ausführen vor dem Kinde. Ich kann zweierlei Erfahrungen machen, wenn ich das anwende. Ich kann einen Lehrer, eine Lehrerin finden, die setzen dem Kind dieses Bild auseinander, und das Kind hat gar nichts davon. Das Kind hat vielleicht ein sehr schönes Bild, aber für seine Seele, für dasjenige, was erreicht werden soll, hat es gar nichts.Ein anderer Lehrer oder eine andere Lehrerin setzen auch dieses Bild auseinander, vielleicht mit denselben Worten, nehmen wir an, und das Kind hat ungeheuer viel davon. Das Kind geht in seiner Seele ganz auf.

Wo ist denn der Unterschied? Der Unterschied ist der, daß der ersteLehrer oder die erste Lehrerin furchtbar gescheit sind, unendlich gescheit. Deshalb sagen sie sich: Ja, ein gescheiter Mensch, der glaubt doch nicht daran, daß die Puppe und der Schmetterling ein Bild sind;das mache ich nur, weil das Kind dumm ist. Das Kind ist dumm, ich bin gescheit. Ich mache für das Kind ein Bild. Der gescheite Lehrer, der das dumme Kind neben sich hat und für das dumme Kind ein gescheites Bild gemacht hat, wird nicht verstanden von dem Kinde. Sie können sich verlassen darauf, er wird nicht verstanden!

Da ist ein anderer Lehrer oder eine andere Lehrerin, die glauben selber an ihr Bild. Sie sagen sich: Die göttliche Weltordnung hat, damit wir verstehen können die Unsterblichkeit, dieses Bild selber in die Natur hineingesetzt. Das ist nicht etwa da, damit wir es erst erfinden können, sondern wir entdecken dieses Bild. Die schöpferische Geistigkeit in der Natur schafft uns dieses Bild, damit wir in dem Bilde die Unsterblichkeit sehen können. Gott hat selber hingemalt vor uns dieses Bild. Wir glauben an dieses Bild, wie das Kind auch glauben soll.

Und das Kind hat alles, was es braucht, bloß dadurch, daß wir selbst nicht sagen: Wir sind gescheit und das Kind ist dumm, sondern daß wir sagen: Das Kind hat seinen gescheiten Geist durch die Geburt in die Welt gebracht. Das Kind ist gescheit. Der Geist ist nur noch nicht erweckt. Wenn wir ihn nicht erwecken können, sind wir die Dummen, nicht das Kind.

Wenn wir nur einmal den Gedanken haben können, daß das Kind eigentlich verborgen gescheit und wir offenbar dumm sind, und nun gerade die Aufgabe haben dem Kind gegenüber, von dem Kinde lernend, erst gescheit zu werden, dann werden wir Eindruck machen mit unserem Unterricht auf das Kind.

Und dann, wenn das der Fall ist, dann haben wir im ersten Beispiel durch den Lehrer, durch die Lehrerin, die sich gescheit fanden, das Wirken des Intellektes gesehen, und bei dem zweiten Beispiel das Wirken des Geistes, des Spirituellen, desjenigen, was innerlich lebendig ist, was sich mit den Dingen verbindet, und was auch wirken kann, wenn man keine hellseherische Anschauung von dem Geiste hat. Da ist der Geist der Tätige. Da tut man im Geiste, wenn man selber an sein Bild glaubt. Wenn man nicht daran glaubt, sondern aus lauter Gescheitheit.

und aus lauter Intellektualität das Bild formt, steht man mit Intellektualität und «mind» außerhalb der Wirklichkeit, hat man bloß ein Spiegelbild. Spiegelbilder wirken nicht, Spiegelbilder sind inaktiv. Spiegelbilder sind bloß passiv. Der Geist ist produktiv, der Geist ist schöpferisch. Und wir müssen uns vor allen Dingen, um im Geiste zu tun, indas Schöpferische hineinfinden.

Und so kommen wir auf dem Wege des seelischen Arbeitens, indem wir uns in die Imagination selbst hineinarbeiten, dem Geist nah, kommen wir allmählich in den Geist hinein, in dasjenige was das Spirituelle ist. Wir müssen nur erst die Ohnmacht des Intellektuellen empfinden,dann kommen wir in das Spirituelle hinein.

Rudolf Steiner: Die geistig-seelischen Grundkräfte der Erziehungskunst. Spirituelle Werte in Erziehung und sozialem Leben., GA 305, S. 36

http://fvn-archiv.net/PDF/GA/GA305.pdf#view=Fit