Geographen ans Steuer


Ich bin Geograph. Aber lies genau: Nein, ich bin kein Geologe. Das stimmt nur zu einem Teil. Denn die Geologie befasst sich zwar mit der Erde, allerdings hauptsächlich mit den Gesteinen der Erde, abbauwürdigen Rohstoffen und der Entstehung von Gebirgen. Die Geographie hingegen befasst sich mit der Welt als Ganzes. Die Geologie ist nur eine Teildisziplin. Zwei weitere sind die Klimatologie, die sich mit dem Wetter in der Atmosphäre beschäftigt, und die Geomorphologie, die sich fragt, wie sich die Oberfläche, die Skulptur, der Erde verändert.

Die Geographie befasst sich aber nicht nur mit dem ganzen Naturraum, sondern mit dem kompletten Raum. Und dazu gehört auch der Mensch in seiner Anthroposphäre. Die Geographie fragt, wo er lebt, wie er lebt und wie er auf den Raum wirkt. Die Antworten auf diese geographischen Fragen werden oft mit dem Hauptwerkzeug des Geographen gesucht: der Karte. Es gibt Karten über die Verteilung des Menschen auf der Welt, über seine Wanderungsbewegungen, über den Verbrauch von Rohstoffen, über Handelsrouten, politische Systeme und die Verbreitung von Krankheiten oder die Idee der Menschenrechte.

Der Mensch baut Straßen und Städte, rodet Wälder, versetzt Berge, gräbt Tunnel und verschmutzt die Umwelt. Er erfindet die Dampfmaschine, stürzt Diktatoren, jagt Wale und sät Weizen. Er rottet die Kinderlähmung aus und öffnet Grenzen. Er prägt den Raum dieser Welt in allen Bereichen und jeder einzelne dieser Eingriffe hat Auswirkungen auf Prozesse, die darin ablaufen: Luftverschmutzung führt zu saurem Regen, der den Boden belastet, was den Pflanzen schadet, welche nicht mehr die Erosion verhindern können, was zu Schlammlawinen führt, die Menschen in Orten bedrohen, wo sie leben, weil sie der Arbeit folgten, die die Wirtschaft schuf, weil dort Rohstoffe liegen oder Landwirtschaft betrieben werden kann, was in einem freien politischen System zu Reichtum führt, was ein Gesundheitssystem etablieren kann, wodurch sich die Geburtenrate erhöht, was zu Nahrungsproblemen führt, worauf mehr Raum besiedelt werden muss, welcher umgestaltet wird und der Kreislauf sich gegenseitig beeinflussender Faktoren weiter und immer weiter geht. Es hängt alles zusammen.

Und der Geograph hat den Überblick. Durch das Studium der wissenschaftlichen Disziplinen hat er auch die Fähigkeit, sich mit allen spezialisierten Experten unterhalten zu können. Somit ist die Geographie der Schlüssel zu allen anderen Wissenschaften. Mit ihr kann das komplexe Zusammenspiel von Natur und Mensch und von Gesellschaft und Umwelt verstanden werden. Manche Geographen erforschen die Zusammenhänge an Universitäten und Instituten, andere entwickeln daraus Handlungsvorschläge für Unternehmen und Regierungen. Geographen sind die Generalisten, die in unserer hochspezialisierten Arbeitswelt den Überblick behalten. Sie sehen den Weg, der aus einem Netz vieler Fäden zwischen drei großen Säulen besteht. Die Säulen heißen Umwelt, Wirtschaft und Mensch - ganz im Sinne der Nachhaltigkeit.

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