Freiheit in der Zusammenarbeit im Kollegium 
– Arbeit an sich selbst

Grundsatz einer neuen, nicht hierarchischen Struktur ist die Freiheit des Lehrerkollegiums – die republikanisch-demokratische Einrichtung des Lehrerkollegiums. Diese historischen Begriffe weisen auf die Eigenverantwortung (republikanisch) und auf die Gleichberechtigung (demokratisch) hin, denn hier in der Schule arbeiten unabhängige Persönlichkeiten selbstverantwortlich in kollegialer Verbundenheit gleichberechtigt zusammen.

Konferenzen sind freie republikanische Unterredungen. Jeder ist darin ein Souverän. Aber eine produktive Zusammenarbeit von Souveränen in Verantwortungs- und Entscheidungsgremien verlangt Befähigungen, die der einzelne zu erwerben hat.

Dazu gehört das Urteilsvermögen, das in einer Realbeziehung zur geistigen Wirklichkeit der Welt gründet; elementar ist das soziale Vertrauen, das nicht nur das Gewordene, sondern das Werdende im anderen Menschen wahrnimmt; es ist bei sich selbst und beim Anderen auf die Bereitschaft zu bauen, der gemeinsamen Zielsetzung selbstlos zu dienen; nicht zuletzt gilt für das kollegiale Miteinander, dass seine Mitglieder die Grundübungen bewusster Selbstbildung aufnehmen, um selbst sozialfähig zu werden. 

Zusammenarbeit in der Schule ist nicht auf der Ebene der Diskussion, horizontal zu erreichen, sondern nur vertikal, indem sich die Beteiligten zur Weiterentwicklung ihrer Fähigkeiten aufschwingen, was eine im höchsten Sinne moralisch-geistige Aufgabe ist.

Traditionellerweise vollzieht sich Führung häufig so, dass Menschen gegen ihren Willen oder ohne ihr Einverständnis zu etwas verpflichtet werden, entweder von Autoritäten oder durch Regeln. Zeitgemäße Führung hingegen richtet sich an das Bewusstsein der Menschen. Das Ziel soll den Menschen führen, nicht der Chef! Die Führungskraft hat die Aufgabe, eine dialogische Verständigung auf Augenhöhe zu führen, und die Mitarbeitenden haben das Recht auf Selbstverpflichtung. Würde ist das Recht auf Selbstverpflichtung im Sinne der Idee, die eigene Verantwortung zu finden und zu tragen.

Die Grundübungen bewusster Selbstbildung

Gedankenkontrolle
Sie besteht darin, daß man wenigstens für kurze Zeiten des Tages nicht alles mögliche durch die Seele irrlichtern läßt, sondern einmal Ruhe in seinem Gedankenlaufe eintreten läßt. Man denkt an einen bestimmten Begriff, stellt diesen Begriff in den Mittelpunkt seines Gedankenlebens und reiht hierauf selbst alle Gedanken logisch so aneinander, daß sie sich an diesen Begriff anlehnen. Und wenn das auch nur eine Minute geschieht, so ist es schon von großer Bedeutung für den Rhythmus des Leibes und der Lebenskräfte.

Initiative des Handelns
Bedenke, wie wenig eigentlich aus der eigenen Initiative hervorgeht! Die meisten Ursachen des Handelns liegen in Familienverhältnissen, in der Erziehung, im Berufe und so weiter. Man zwinge sich zu wenn auch unbedeutenden, aber aus eigener Initiative entsprungenen Handlungen, zu selbst auferlegten Pflichten. Kurze Zeit ist darauf zu verwenden, Handlungen aus der eigenen Initiative hervorgehen zu lassen. Das brauchen durchaus nicht wichtige Dinge zu sein; ganz unbedeutende Handlungen erfüllen denselben Zweck. Wenn sie regelmäßig stattfinden, zum Beispiel täglich zur selben Uhrzeit ohne dass ein Äußeres einen daran erinnert, erhöht sich die Wirkung.

Gelassenheit
Das dritte, um was es sich handelt,  ist die Gelassenheit. Man den Zustand des Hin- und Herschwankens zwischen «himmelhoch jauchzend» und «zum Tode betrübt» regulieren. Wer das nicht will, weil er glaubt, daß dadurch seine Ursprünglichkeit im Handeln oder sein künstlerisches Empfinden verlorengehe, der kann eben keine weitere Entwicklung durchmachen. Gelassenheit heißt, Herr sein in der höchsten Lust und im tiefsten Schmerz. Es ist sogar so: Man wird für die Freuden und Leiden in der Welt erst dann richtig empfänglich, wenn man sich nicht mehr im Schmerz und in der Lust verliert, wenn man nicht mehr egoistisch darin aufgeht. Die größten Künstler haben gerade durch diese Gelassenheit am meisten erreicht, weil sie sich dadurch die Seele aufgeschlossen haben für subtile und innere wichtige Dinge.

Unbefangenheit
Das vierte ist, was man als Unbefangenheit bezeichnen kann. Das ist die Eigenschaft, die in allen Dingen das Gute sieht. Sie geht überall auf das Positive in den Dingen los. Als Beispiel können wir am besten eine persische Legende anführen, die sich an Jesus Christus knüpft: Der Jesus Christus sah einmal einen krepierten Hund am Wege liegen. Er blieb stehen und betrachtete das Tier, die Umstehenden aber wandten sich voll Abscheu ab ob solchen Anblicks. Da sagte Jesus Christus: Oh, welch wunderschöne Zähne hat das Tier! - Er sah nicht das Schlechte, das Hässliche, sondern fand selbst an diesem eklen Kadaver noch etwas Schönes, die weißen Zähne. Sind wir in dieser Stimmung, dann suchen wir in allen Dingen die positiven Eigenschaften, das Gute, und wir können es überall finden. Wir sind uns des Hässlichen und Schlechten bewusst, leugnen es nicht. Aber wir wenden uns dem Guten und Schönen zu. Das wirkt in ganz mächtiger Weise positiv auf unseren Leib und unsere Lebenskräfte.

Glaube
Das nächste ist der Glaube – aber nicht im konfessionellem Sinne gedacht, sondern in einem anderen Sinne. Man übe sich darin, sich niemals in seinem Urteil durch seine Vergangenheit die Zukunft bestimmen zu lassen. Es geht darum unter Umständen alles außer acht zu lassen, was man bisher erlebt hat, um jedem neuen Erleben mit neuem Glauben gegenüberstehen zu können. Das muß man bewußt durchführen. Wenn einer zum Beispiel kommt und sagt: Der Turm der Kirche steht schief, er hat sich um 45 Grad geneigt – so würde jeder sagen: Das kann nicht sein. – Der Übende muß sich aber noch ein Hintertürchen offen lassen. Ja, er muß so weit gehen, daß er jedes in der Welt Erfolgende, was ihm entgegentritt, glauben kann, sonst verlegt er sich den Weg zu neuen Erfahrungen. Man muß sich frei machen für neue Erfahrungen; dadurch wird der Mensch in eine Stimmung versetzt, die voller Innbrunst Neues hervorbringen kann.

Inneres Gleichgewicht
Aus den vorhergegangenen Übungen folgt als Eigenschaft das innere Gleichgewicht. Sie bildet sich durch die fünf anderen Eigenschaften nach und nach ganz von selbst heraus.

Wenn der Mensch ernsthaft eine Weiterentwicklung anstrebt, die ihn in ein ausgeglicheneres, von innerer Kraft getragenes Leben bringen soll, womit er sozialfähiger werden wird, ist ihm geraten, streng auf diese sechs Eigenschaften bedacht zu sein. Er muß sein eigenes Leben in die Hand nehmen und langsam fortschreiten im Sinne des Wortes: Steter Tropfen höhlt den Stein. Es empfiehlt sich, für jede Übung einen Monat einzurichten, ohne die vorhergegangenen zu vernachlässigen und dann wieder von vorne zu beginnen.