Schlussbetrachtung aus "Britische Propaganda in der Schweiz
während des Zweiten Weltkriegs 1939–1945". Einer Dissertation
der Kultur- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der
Universität Luzern vorgelegt von Martin Andreas Lutz. Angenommen am 24.09.2018 auf Antrag von Prof. Dr. Aram Mattioli, Erstgutachter und Prof. Dr. em. Georg Kreis, Zweitgutachter.
Die Schaffung eines neuen Informationsministeriums zu Beginn des Zweiten
Weltkriegs stellte die Briten vor eine grosse Herausforderung. Weder gab es einen
klar umrissenen Auftrag der Regierung, noch waren schlüssige Kriegsziele for
muliert worden, nach denen man die Propaganda hätte ausrichten können. Positive Nachrichten von den Kriegsfronten waren überdies lange Zeit Mangelware.
Dass mehr oder weniger talentierte Amateure und nur wenige Journalisten das
anfangs 999-köpfige Ministerium bevölkerten, war ein weiteres Handicap. Die
Voraussetzungen für eine nachhaltige Propaganda waren somit ungünstig, im
Falle der Schweiz sogar denkbar schlecht, da die Kommunikation zwischen London und Bern zeitweilig unterbrochen war.
Umso bedeutsamer wurde die Rolle der diplomatischen Vertretung in
Bern, die vom Aussenministerium behelfsmässig angewiesen wurde, den Vertrieb von Propagandamaterial selber zu organisieren. Der Kommunikationswis
senschaftler Nicolas Pronay hat die daraus resultierende Öffentlichkeitsarbeit
treffend als eine «Do-it-yourself-Propaganda» bezeichnet.(1)
Sie hatte den Vorteil,
dass sie bestmöglich auf ihre Zielgruppe zugeschnitten werden konnte: auf die
kulturellen Eigenarten, das politische Geschehen, die Meinung der Bevölkerung
oder auf die Stimmung des Tages.
Die in London entworfenen Propagandapläne
für die Schweiz verlieren angesichts dieser Kompetenzverlagerung an Bedeutung.
Es muss sogar angenommen werden, dass die Pläne dem Presseattaché in Bern
nie vorgelegt wurden – denn erstaunlicherweise nimmt keine einzige der uns
überlieferten Korrespondenzen zwischen Bern und London Bezug darauf. Die
Propagandapläne waren offensichtlich nur pro domo erstellt worden: um die Mitarbeiter der Ländersektionen über die Verhältnisse in ihren Zielgebieten zu unterrichten, um die vorhandenen Kanäle zu bezeichnen und um die Absichten festzuhalten. Diese Absichten stützen sich einerseits auf global gültige Propagandaziele – die sogenannten «World Common Themes»(2) – und andererseits auf die
Lageberichte aus Bern, aus denen die Propagandabedürfnisse der Schweiz herausgelesen werden konnten.
Die Pläne des MoI, die notabene erst im dritten Kriegsjahr entworfen wurden, waren demnach wenig konstruktiv für die propagandistische Feldarbeit. Der
britischen Gesandtschaft fehlten konkrete Vorgaben, wie sie die Schweizer moralisch hätten aufrüsten sollen. Ihr Vorteil war, dass Presseattaché Daniels über eine reiche journalistische Erfahrung verfügte und bereits im Sommer 1940 ein Nachrichtenbulletin herausgab, das lange Zeit die einzige Propagandawaffe der
Briten bleiben sollte. Es richtete sich primär an ein elitäres Publikum – an «führende Persönlichkeiten», die als intermediäre Meinungsmacher eine breitere Öffentlichkeit erreichen konnten.
Auf diesem Grundprinzip beruhte die britische
Propaganda. Sie gab vor, wertneutrale Informationen zu vermitteln und grenzte
diese von wertenden Kommentaren ab. Darüber hinaus sollte sie möglichst auf
dem Freiwilligkeitsprinzip beruhen: Der Schweizer sollte selber bestimmen können, welche Propaganda er konsumieren wollte ‒ das Pressebulletin musste er
abonnieren, Propagandabroschüren musste er zu einem symbolischen Preis
käuflich erwerben, und im Falle der BBC-Sendungen wurde er sogar eingeladen,
selber mitzuwirken. Es war die Strategie der kleinstmöglichen Einmischung
(«the minimum of interference») in die inneren Angelegenheiten der Schweiz,
wie das Foreign Office dies gefordert hatte.(3)
Eine solche Strategie verlangte sehr
viel Taktgefühl von den Verantwortlichen, war aber die einzige probate Methode,
um Einfluss auf die Gesinnung eines Volkes zu nehmen, das sich gerne propagandaresistent und vernunftgepanzert gab. «Man ist in der Schweiz gewöhnt, die
Wirklichkeit scharf im Auge zu behalten und die Dinge nach dieser, und nicht nach
dem Dunst der Propaganda, zu beurteilen», hatte der Berner Bund die Schweizer
Attitüde einmal auf den Punkt gebracht.(4)
Die Schweizer waren überzeugt, dass
ihre politische Reife und ihr hoher Bildungsgrad einen umfassenden Schutz gegen unerwünschte Einflüsse aus dem Ausland bilden würden. Aufgrund dessen
empfahl die Schweizer Gesandtschaft in London dem Leiter der Swiss Section im
MoI, «die beste Propaganda, die er im Interesse seines Landes in der Schweiz
machen könne, wäre, überhaupt keine Propaganda zu machen, jedenfalls keine
laute Propaganda und keine, die uns irgendwie genieren würde.»(5)
Um die politische Meinung der Schweizer beeinflussen zu können, war
also grosses Geschick gefordert. Die Propaganda musste erzieherisch sein, ohne
schulmeisterlich zu wirken, sie musste informieren, durfte aber nicht kommentieren, und sie sollte eine breite Bevölkerung erreichen, ohne sensationell zu erscheinen. Der journalistischen Erfahrung und dem taktvollen Vorgehen von Presseattaché Daniels ist es zu verdanken, dass diese Quadratur des Kreises gelingen
konnte. Das Rückgrat seiner Propaganda bildeten die von der amtlichen britischen Nachrichtenagentur (British Official Wireless) gelieferten Depeschen, die er in Form eines Gesandtschaftsbulletins praktisch unzensiert weiterverbreiten
konnte.
[...]
Immerhin darf festgehalten werden, dass die britische Propaganda am Ende des Zweiten Weltkriegs – anders als 1918 – zumindest in England an Akzeptanz gewonnen hatte und dort als staatliches Instrument
der Aussenpolitik salonfähig geworden war. Das Informationsministerium wurde
zwar vom Frühjahr 1945 an sukzessive abgebaut.(11) Aus dem Kern des Ministeriums ging aber 1946 eine neue staatliche Kommunikations- und Marketingagentur, das Central Office of Information, hervor, welche bis 2011 bestehen sollte.
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Ich frage: Gibt es seit 2011 keine britische Propaganda mehr? Oder wer und welche Institution(en) führen seit 2011 diese Aufgabe weiter?
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Die Lücke [...], der Rest und die Quellen zu den Fußnoten (1)-(5) und (11) sind dort zu lesen:
https://zenodo.org/record/3236021/files/eDissUniLU2019_KSF_LUTZMartin.pdf?download=1